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Biographie Emma Arnold – Kapitel 4 (1942-1943): Der Mut einer Mutter

Der erste eisige Winter, den Emma und Simone allein durchstehen mußten, war gekommen. Die langsam brennenden Kohlen hielten den Ofen über Nacht in Gang. Morgens waren die Fenster mit Eis bedeckt und zugefroren. Emma mußte ein glühend heißes Bügeleisen benutzen, um die Fenster aufzutauen. Durch die Kriegsrationierungen gab es nur noch das Notwendigste zu essen; alles konnte nur noch auf von der Regierung ausgestellte Lebensmittelkarten gekauft werden. Emma nutzte ihre praktischen Erfahrungen und wurde zur Expertin im Sparen. Simone wuchs, also änderte ihre Mutter alte Hosen von Adolphe in neue Kleidung für sie. Sie trennte alte Pullover auf und strickte aus der Wolle Handschuhe, Mützen und Strümpfe.

Simone hatte jeden Tag einen langen Fußweg zur Schule. Wenn sie ging und wenn sie zurückkam, war es dunkel. Die Trauer über die Verhaftung ihres Vaters hatte bei ihr hohes Fieber hervorgerufen, was nach der Ansicht des Arztes eine nachvollziehbare Reaktion war. Emma war der Stress, den ihre Tochter mit sich herumtrug, schmerzlich bewußt. Einmal mußte sie etwas erledigen und ließ Simone zu Hause mit einer Schulfreundin. Ihre Rückkehr verzögerte sich. Als Emma an der Haltestelle gegenüber der Polizeiwache aus der  Straßenbahn stieg, sah sie Simone nur mit ihrem Nachthemd unter dem Mantel und ohne Socken in den Schuhen unter der Straßenlaterne stehen. Sie lehnte schluchzend an dem Laternenpfad und fürchtete das Schlimmste. Emma nahm sie an der Hand und weinte leise in der Dunkelheit, während sie nach Hause gingen. Sobald sie zu Hause trocknete sie ihre Tränen und bat Simone um Entschuldigung dafür, sie so erschreckt zu haben.

Dies war jedoch keineswegs das letzte Mal, daß Simone sich Sorgen machen mußte. Eines Tages kam Simone leichenblaß von der Schule nach Hause. Sie hatte sich geweigert „Heil Hitler“ zu sagen und war bei dem Schulleiter angezeigt worden. In der gleichen Woche erhielt sie die Beurteilung, für das Gymnasium ungeeignet zu sein und wurde in Gegenwart aller Schüler der Schule verwiesen. Sie kam nach Hause und sagte ihrer Mutter wie stolz sie sei, genau wie ihr Vater für ihren Glauben einzutreten.

Am kommenden Montag begleitete Emma Simone zur Volksschule. Der Rektor war ein fanatischer Nationalsozialist. Zuerst weigerte er sich, Emma in der Schule aufzunehmen. Emma bat ihn ruhig, ihr diese Weigerung wegen der bestehenden Schulpflicht schriftlich zu geben. Sie wußte, wie sie in einer solcher Situation Ruhe und Entschlossenheit zeigen konnte. Sie hatte oft mit Simone über die drei jungen Hebräer gesprochen, die denselben Geist gezeigt hatten, als sie dem wütenden König und dem brennenden Feuerofen gegenübergestanden hatten. Ihr Gefährte Daniel war genauso respektvoll aber gleichzeitig bestimmt gewesen, als ihm die Strafe der Löwengrube drohte. Anhand des Beispiels bekannter biblischer Personen hoffte Emma Simone beizubringen, wie sie sich mit dem wütenden Nazibiest ohne unnötige Konflikte auseinandersetzen konnte.

Geheimsprache in Briefen und Kekse mit Geheimnissen

Wegen der Postsperre konnte Adolphe nicht erfahren, wie seine Tochter für christliche Prinzipien eingestanden hatte. Aber Marcel, Tante Eugenie und Koehls lobten Simone zusammen mit Emma für ihre ehrenhafte Gewissensentscheidung. Keiner von ihnen schrieb Hitler Heil zu; diese Anerkennung gebührte allein Jesus Christus, dem Retter. Sie ermunterten Simone, ohne Wanken standhaft zu bleiben.

Sobald die Erlaubnis zu schreiben erteilt worden war, schrieb Emma an Adolphe. Sie benutzte eine Geheimsprache. Mit den Freunden des Gartens waren Koehls gemeint, Mutter Brief meinte den Wachtturm, schwimmen stand für Taufe, Haman (ein biblischer Feind der Juden) war eine treffende Bezeichnung für die Gestapo. Das Predigtwerk wurde als festes Schuhwerk bezeichnet. Das Sanatorium bedeutete Verhaftung. Und Simones gute Noten bezeichneten ihre standhafte Haltung. Die Briefe durften nur einige wenige Zeilen enthalten und konnten nur zu vorgegebenen Zeiten geschrieben werden.

Text, der in einem Kuchen versteckt war, den Adolphe Arnold mit einem Paket erhielt
Text, der in einem Kuchen versteckt war, den Adolphe Arnold mit einem Paket erhielt

Der Kommandant von Dachau hatte Familienangehörigen erlaubt, an Häftlinge Nahrungsmittelpakete zu schicken. Daß Nahrungsmittel so knapp waren, machte es schwierig, ein Paket zusammenzustellen. Emma kaufte auf dem Schwarzmarkt etwas Fischöl und Koehls und Eugenie gaben, was sie konnten. Auf diesem Weg schmuggelte Emma auch „Vitamine“ zu Adolphe. Sie schrieb stark zusammengefaßte Auszüge des Wachtturms auf dünnes Papier, rollte es ordentlich zusammen und steckte es zwischen zwei Kekse, die mit Honig gefüllt waren. Sie kaufte zu diesem Zweck die billigsten Kekse mit dem schlimmsten Geschmack und hoffte, daß so nur wenige gestohlen werden würden. Es funktionierte. Adolphe bedankte sich in seinem nächsten Brief für die „Vitamine“.

Es war ihnen das Wichtigste, geistig stark und körperlich gesund zu bleiben. Emma schrieb Adolphe weder von ihren Mühsalen noch beschwerte sie sich wegen der Schwierigkeiten, denen sie sich mit Simone während seiner Abwesenheit gegenübersah. Sie hätte ihm tatsächlich gerne über Einzelheiten der häufigen Besuche der Gestapo berichtet. Eines Tages kamen sie gerade, als sie sich eine vervielfältigte Abschrift des verbotenen Buches „Kinder“, geschrieben als Dialog zwischen zwei jungen Christen, John und Eunice, geliehen hatte. Das Manuskript war zu groß für das Geheimfach unter dem Tisch. Sie mußte es in den Wandschrank legen. Die zwei Gestapomänner stürmten wieder herein und einer von ihnen ging direkt zu dem Wandschrank und griff sich das Buch. Angespannt stand Emma da, während er es durchblätterte. Er lachte und warf das Buch zurück in den Wandschrank. „Es ist eine Liebesgeschichte“ sagte er süffisant. „Bist Du Dir sicher“ fragte sein Kollege zweifelnd und griff sich das Buch. Nachdem er hinein geschaut hatte, warf er es auch zurück und murmelte „Sie braucht keine Liebesgeschichten, sie braucht einen Mann“!

Die Gestapo zielt auf Simone und Marcel

Wegen der Postzensur im Lager mußte Emma darauf verzichten, Adolphe zu berichten, wie seine Tochter eine weitere Glaubensprüfung bestanden hatte. Sie behielt die Einzelheiten darüber, welchen Mut Simone gezeigt hatte, als zwei „Psychiater“ sie befragt und versucht hatten, Namen und Einzelheiten bezüglich des Werks im Untergrund zu erfahren, für sich. Emma hatte still einige Meter hinter Simone sitzen müssen, als dieses 12 Jahre alte Mädchen von zwei Männern mit Fragen bombardiert worden war.

Emma wagte es nicht, über den Termin im Gericht von Mühlhausen zu schreiben, in dem der Richter Simone befragt hatte, warum sie den Hitlergruß verweigerte. Wegen Simones Entschlossenheit beschuldigte er Emma, ihre Tochter moralisch zu verderben. Er erließ eine Entscheidung, in der er ausführte, das Kind sei in Gefahr und es müsse dringend vor dieser zerstörerischen Belehrung gerettet werden. Er wies das städtische Jugendamt an, sie in ein Umerziehungsheim einzuweisen.

Nicht lange danach brachten zwei Klassenkameraden Simone von der Schule nach Hause. Sie war von dem Rektor geschlagen worden, weil sie sich geweigert hatte, Kriegsmaterial zu sammeln. Sie vergoß keine Tränen und zeigte keine Anzeichen von Furcht. Sie blieb fest entschlossen, aber etwas später mußte Emma sie zum Arzt bringen. Sie litt unter starken Krämpfen und einer heftigen Menstruation. Der Arzt verordnete für einige Tage Bettruhe. Am nächsten Tag erschien ein Polizist mit dem Befehl, Simone in die Schule zu schicken und drohte mit einer hohen Geldstrafe für jeden versäumten Tag. Als Emma wieder zu dem Arzt ging, bat dieser sie dringend, nicht mehr zu ihm zu kommen. Die Gestapo hatte ihn gewarnt, Arnolds nicht zu behandeln; falls doch würde er selbst im Lager enden.

Simone wußte genau, welches Schicksal der Richter ihr zugedacht hatte. Emma sprach nie darüber. Sie glaubte fest an die Bibelstelle „Jeder Tag hat an seinem eigenen Übel genug“. Sie beauftragte Simone damit, die Unterlagen zu finden, die sie benutzen konnten, um das Heimatdorf ihres Großvaters in Italien zu besuchen. Sie fand den Ort im Atlas und las über das Leben in Italien. Emma nahm ein Stück Stoff, das mit einem Entwurf Adolphes bedruckt war, und nähte Simone ein hübsches Kleid. Tante Eugenie häkelte ihr passende Handschuhe. Emma beschloß, ein Foto machen zu lassen und so gingen sie zu dritt in ein Fotostudio.

Ein Photo von Simone, aufgenommen im Juni 1943 als eine Erinnerung für Emma. Zu diesem Zeitpunkt muß Emma den Tag von SImones Abfahrt in die Erziehungsanstalt bereits gekannt haben.
Ein Photo von Simone, aufgenommen im Juni 1943 als eine Erinnerung für Emma. Zu diesem Zeitpunkt muß Emma den Tag von SImones Abfahrt in die Erziehungsanstalt bereits gekannt haben.

In den schlimmsten Momenten hatte sich Marcel als enorme Unterstützung aller und insbesondere für Simone als ein großer Bruder erwiesen. Seine Zeit der feurigen Erprobung kam, als er seine Einberufung erhielt. Er besuchte Arnolds zu Hause, um sich zu verabschieden.

Emma ermunterte ihn mit begeisternden Worten, die Stimme voller Gefühl. Marcel war entschlossen, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben und daher niemals die Waffe auf einen anderen zu richten. Nachdem sie von ganzem Herzen ein schmerzliches Gebet gesprochen und sich auf dem Balkon verabschiedet hatten, brachen alle in Tränen aus.

Mit der Post kam die Vorladung, Simone zum Bahnhof zu bringen. Die Vorladung enthielt die Warnung, wenn die Mutter ihr nicht folge, käme die Polizei und würde das Mädchen abholen. Emma behielt die schreckliche Nachricht bis zum letzten Moment für sich. Am Nachmittag vor dem schicksalhaften Tag legte sie die Vorladung auf den Tisch im 
Wohnzimmer und ließ die Tür zu Simones Zimmer offen, sodaß Simone ihre Kleider auf dem Bett sehen würde, wenn sie nach Hause käme. Dann ging Emma auf den Balkon, wo sie warten und von wo sie Simones Reaktion beobachten konnte. Nachdem Simone den ersten Schock überwunden hätte, würden sie darüber reden.

An der Art, wie Simone nach Hause schlich, konnte Emma ersehen, daß sie in der Schule wieder eine kräftezehrende Erfahrung hatte durchmachen müssen. Später erfuhr sie, daß der Schulleiter eine große politische Versammlung unter der Nazifahne einberufen hatte. Er 
stellte Simone allein vor alle Schüler und prangerte laut ihre Weigerung, die Fahne zu grüßen, an.

Simone kam erschöpft in die Wohnung. Emma beobachtete, wie sie zuerst die Kleider auf ihrem Bett wahrnahm, wonach ihr Blick auf die Vorladung fiel. Nach einer kurzen Pause ergriff sie das Schriftstück. Sie sagte nichts, sie weinte nicht, sie schluchzte nicht. Sie war wie gelähmt, als wäre sie am Fußboden festgeklebt. Emma nahm ihre Tochter in die Arme. Sie sprach sanft mit ihr und erinnerte sie daran, daß sie über 12 Jahre alt war, ein Alter, in dem junge Mädchen für die weitere Ausbildung von zu Hause weggehen. Wenn dies der Wille Jehovas war, würde es sich als Segen und als eine exzellente Schulung für die Zukunft für sie erweisen. Jehova würde sie weiter unter seiner Fittiche bewahren, wie er ihr bisher auch geholfen hatte. Sie hatten nur wenig Zeit. Sie mußten einkaufen gehen, Simone brauchte ein Maniküreetui.

Eine unerschütterliche Mutter

Am 6. Juli 1943 warteten zwei Frauen der städtischen Wohlfahrtsbehörde mit strengem Blick am Eingang des Bahnhofs. Wenn sie eine nervöse Mutter erwartet hatten, die mit einem schreienden Kind an der Hand aus der Straßenbahn aussteigt, wurden sie überrascht. Emma hielt nichts davon, ihr klares Denkvermögen durch Gefühle überwältigen zu lassen. Simone folgte ihrer Mutter wie betäubt. Emma fragte die Frauen, wohin sie Simone bringen würden. Sie wollte mit ihnen kommen. Das ist streng verboten, wurde ihr geantwortet. Emma erwiderte, sie wolle einen schriftlichen Beweis dieser Vorschrift. Auf der Vorladung stand der Bestimmungsort und so kaufte sich Emma trotz des fortgesetzten Widerspruchs der Frauen, sie hätten mündliche Anweisung, eine Fahrkarte. Würden sie mit Simone in einem besonderen Abteil isoliert sitzen? Wenn nicht, hatte sie das Recht, den Zug zu nehmen, was sie auch tat. Der Zug verließ Mühlhausen und fuhr in Richtung Deutschland. 

In Freiburg mußten sie umsteigen. Von Freiburg fuhren sie in einem alten deutschen Zug weiter, der an jedem Ende des Abteils eine Plattform hatte. Emma bat darum, mit Simone nach draußen auf die Plattform gehen zu dürfen, um etwas Luft zu schnappen. Während sie in dem feinen Regen standen, fing Simone an zu zittern. Emma schlug ihren Regelmantel um sie und hielt sie eng an sich gedrückt. Nach und nach wärmte sie sie, indem sie ihr Geschichten aus der Bibel erzählte, sie sprach von der Treue ihres Vaters und gab ihr letzte Ratschläge. Sei höflich, sei nicht dickköpfig, sei fleißig, gib ein gutes Beispiel. Du hast das Vorrecht, den Namen Gottes, Jehova, zu tragen. Emma betonte, daß wegen des Krieges jeder zu leiden hatte. Doch die meisten litten für nichts. Ein Christ jedoch hatte das Vorrecht wegen seiner Loyalität gegenüber Jehova zu leiden, ein Opfer, das in den Augen Jehovas von großem Wert war. Emma versicherte Simone, daß sie Jehova wohlgefälig war, daß ihre Mutter großes Vertrauen in sie setze und daß ihr starker Glaube ihren Vater sehr getröstet hatte.

Wessenberg'sche Erziehungsanstalt für Mädchen, eine Erziehungsanstalt für straffällige Mädchen
Wessenberg’sche Erziehungsanstalt für Mädchen, eine Erziehungsanstalt für straffällige Mädchen

Als der Zug an diesem Nachmittag nach Konstanz einfuhr, unterhielten sich Simone und ihre Mutter wie üblich angeregt. Aber als sie den Zug verließen, verfiel Simone wieder in Schweigen. Sie näherten sich dem Gebäude und lasen das Schild „Wessenberg‘sche Erziehungsanstalt für Mädchen“. An der Pforte hielten die zwei Frauen Emma an und verboten ihr, das Gelände zu betreten. Sie ergriffen Simone und gingen durch den schönen Garten zur Eingangstür.

Emma ließ sie kurz vorangehen. Dann folgte sie ihnen. Als die Frauen sie noch einmal aufforderten, draußen zu bleiben, erwiderte sie, „das Schild sagt nicht, daß Eltern der Zutritt verboten ist“. Sie ging zur Eingangstür, wo die Frauen mit Simone standen. Eine ältere Frau namens Lederle öffnete die Tür, als sie klingelten. Als sie Emma sah, bat sie sie herein und sagte, sie habe Mütter, die ihre Kinder begleiteten, immer geachtet. Fräulein Lederle konnte Simone noch nicht aufnehmen, da ihre Papiere noch nicht eingetroffen waren. Sie mußte erst zum Gericht gehen. In der Zwischenzeit solle Emma mit ihrer Tochter nach Meersburg auf der anderen Seite des Sees fahren, wo die Hotels preiswerter seien. Die zwei Frauen widersprachen dieser Entscheidung von Fräulein Lederle vehement, aber sie gab ihnen zur Antwort, sie habe volles Vertrauen in die Mutter des Mädchens.

Chrimhilde Lederle, Aufseherin der Wessenberg'schen Erziehungsanstalt für Mädchen
Chrimhilde Lederle, Aufseherin der Wessenberg’schen Erziehungsanstalt für Mädchen

Emma und Simone nahmen das Dampfschiff über den Bodensee nach Meersburg. Das Hotelzimmer war einfach aber sauber. Für die vorsichtige Emma war dies jedoch kein sicherer Platz für eine private Unterhaltung mit Simone. Daher machten sie einen Spaziergang zu einer abgelegenen Stelle in einem Weinberg eines Schlosses, wo sie ungestört beten konnten. Sie sangen zusammen ein Königreichslied über die Auferstehungshoffnung. Sie beruhigte Simone damit, daß das Heim einen schönen Garten hatte und die ältere Oberin aufrichtig zu sein schien. Sie sei sich sicher, daß Simone eine gute Ausbildung erhalten würde. Sie hatte alles in ihrer Macht stehende getan, um ihre Tochter zu stärken. Während ihrer letzten Nacht deckte Emma sie zu und Simone schlief tief und fest ein. Von nun an blieb ihr nur noch Jehova anzuflehen, ihre kleine Tochter zu beschützen.

Auf der Rückfahrt mit dem Dampfer nach Konstanz war Simone wieder ganz benommen.  Ohne ein Wort oder eine Träne trat sie durch die Eingangstür des Wessenberg Heims. Emma wurde hereingerufen, doch ihre Tochter war schon verschwunden, ohne daß sie die Gelegenheit gehabt hätte, sich von ihrer Mutter mit einem Kuß zu verabschieden. Zwei der Oberinnen unterhielten sich lange mit Emma und versuchten sie davon zu überzeugen, welch eine schlechte Entscheidung es gewesen sei, eine Zeugin Jehovas zu werden.

Allein

In Mühlhausen machten sich Koehls und Eugenie Sorgen, weil Emma nicht wie erwartet am gleichen Tag zurückgekommen war. Doch für Emma war die Verzögerung ein echtes Geschenk des Himmels gewesen. Sie hatte jetzt wenigstens eine Vorstellung davon, wo ihre Tochter untergebracht war, wodurch sie getröstet wurde. Als sie allerdings in die leere Wohnung kam, verließen sie alle Kräfte. Adolphe war in Dachau, Simone in Konstanz, Marcel Sutter festgenommen und selbst ihr Hündin Zita war nicht mehr da, man hatte sie vergiftet.

Emma beschloß nach Bergenbach zu gehen. Sie hatte erfahren, daß ihre Mutter krank gewesen war. Sie hatten sich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Emma nahm ihren Mut zusammen und begab sich in diese heikle Situation. Ihre Mutter war von ihrem Kommen völlig überrascht. Marie konnte nicht leugnen, daß sie ihre Tochter dringend brauchte und diese ihr die bestmögliche Hilfe bieten würde. Es war Ende Juli. Sowohl drinnen als auch draußen gab es Arbeit zu tun.

Bevor sie die Wohnung verließ, hatte Emma mit Eugenie besprochen, daß diese weiterhin Nahrungsmittelpakete und „Vitamine“ an Adolphe schicken würde. Sie würde die verbotenen Texte abschreiben, und entweder sie oder Adolphe Koehl würden weiterhin das Risiko auf sich nehmen, die Texte in das Lager zu schmuggeln