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Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas

1914 -1918
Im Ersten Weltkrieg führt im deutschen Kaiserreich die wachsende Zahl von nur Sanitätsdienst leistenden oder zunehmend vollständig den Kriegsdienst verweigernden Bibelforschern zur Überwachung durch staatliche Stellen, Verbot ihrer Schriften beim Militär, Prozessen und Haftstrafen. Mindestens 41 Bibelforscher werden wegen religiös motivierter Kriegsdienstverweigerung und militärischen Ungehorsams durch Kriegsgerichte verurteilt.
1914 -1918
1918

Knapp 4.000 Gläubige bekennen sich im Deutschen Reich zur Bibelforschergemeinde.

Vor dem Ersten Weltkrieg erregte die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten entstandene und seit dem späten 19. Jahrhundert in Deutschland aktive Bibelforscherbewegung kaum behördliche Aufmerksamkeit. Ihr Organ „Der Wachtturm“ erschien seit 1897 auf Deutsch, das Deutschlandbüro ihrer 1881 in den USA als Missions- und Bibelgesellschaft gegründeten „Wachtturm-Gesellschaft“ befand sich in Elberfeld und später in Barmen.
1918
1919
Nach Kriegsende steigt die Zahl der bekennenden Bibelforscher in der Weimarer Republik auf über 5.500. Die Weimarer Reichsverfassung garantiert die Religionsfreiheit.
1919
1921

Die „Apologetische Centrale“ wird vom „Centralausschuß für die Innere Mission“ der Deutschen Evangelischen Kirche in Berlin gegründet, um andere religiöse Bewegungen zu beobachten. Sie vertritt die konservativ-nationalistische Linie der Kirchenführung und agiert gegen religiösen Pluralismus (John Conway). Die Bibelforscher werden von der Apologetischen Centrale als „Sekte“ angegriffen.

Auch katholische sowie völkische, radikalnationalistische und nationalsozialistische Kreise (z.B. „Der Stürmer“, Dezember 1924) attackieren in den folgenden Jahren immer wieder die Bibelforscher u.a. als „jüdisch-bolschewistisch“. Die Internationalen Bibelforscher werden zum Hassobjekt antidemokratischer und antipluralistischer Kräfte.
1921
1923
Das Deutschlandbüro der Bibelforscher wird nach Magdeburg in der preußischen Provinz Sachsen verlegt, ein „Bibelhaus“ mit eigener Druckerei wird aufgebaut, Missionsschriften werden in teilweise millionenfacher Auflage gedruckt und verbreitet.
1923
1926/27
Der deutsche Zweig der „Internationalen Bibelforscher-Vereinigung“ (IBV) zählt über 22.000 Glaubensangehörige und wird vereinsrechtlich eingetragen.
1926/27
30. April 1930
Der preußische Innenminister gibt einen Runderlass heraus, wonach die preußische Polizei nicht gegen die Bibelforscher und ihre Missionsaktivitäten vorgehen soll, da es sich um eine rechtmäßige, rein religiöse Vereinigung handele und Prozesse immer mit Freispruch geendet hätten.
30. April 1930
26. Juli 1931
Die Internationalen Bibelforscher geben sich den Namen „Jehovas Zeugen“. In Deutschland bleiben sie weiterhin für viele Jahre als (Ernste) Bibelforscher bekannt.
26. Juli 1931
18. November 1931
Verfügung der Polizeidirektion München, sämtliche Druckschriften der Bibelforschervereinigung im Freistaat Bayern einzuziehen und zu beschlagnahmen, was kirchliche Stellen begrüßen. Der katholisch-konservative Innenminister wird bei der Maßnahme von der ansonsten in Opposition zur bayerischen Staatsregierung stehenden NSDAP unterstützt. Im Zuge einer Klage der Bibelforscher erklärt das Bayerische Oberste Landesgericht die Verfügung für rechtens.
18. November 1931
1932

Reichskanzler Heinrich Brüning lehnt Vorschläge von Angehörigen der Reichstagsfraktion seiner Zentrumspartei ab, schärfer gegen „antikirchliche“ Bestrebungen vorzugehen.

Die Bibelforscher gewinnen Prozesse gegen Beschlagnahmungen ihrer Schriften in anderen deutschen Ländern, u.a. vor dem Badischen Verwaltungsgerichtshof am 15. Juni.

Bis zum Ende der Republik kommt es zu mehreren tausend Prozessen, die die Religionsfreiheit der Bibelforscher betreffen. In einer großen Zahl der Fälle (in denen es zumeist um die öffentliche Mission und die Schriftenverbreitung geht) entscheiden deutsche Gerichte zugunsten der Religionsfreiheit der Bibelforscher.
1932
30. Januar 1933

Adolf Hitler wird zum deutschen Reichskanzler ernannt.

Zu diesem Zeitpunkt zählt die Gemeinde der Zeugen Jehovas in Deutschland ca. 25.000 bekennende Glaubensangehörige, von einem Umfeld von weiteren 10.000 Gläubigen ist auszugehen.
30. Januar 1933
28. Februar 1933
Die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ („Reichstagsbrandverordnung“) wird erlassen. Auf dieser Grundlage, die die Weimarer Reichsverfassung weitgehend außer Kraft setzt, erfolgen die Verbote der Glaubensgemeinschaft und ihrer Einrichtungen in den deutschen Ländern in den kommenden Monaten. (Religion ist Kultus- und damit Ländersache.)
28. Februar 1933
5. März 1933

Zeugen Jehovas verweigern die Teilnahme an den Reichstagswahlen und werden attackiert, schikaniert und misshandelt. Die Misshandlungen und Verhaftungen nehmen im Lauf des Jahres zu. Zeugen Jehovas verweigern den „Hitlergruß“ und die Mitgliedschaft in NS-Organisationen wie der „Hitlerjugend“.

Erste Zeugen Jehovas werden in die frühen Konzentrationslager verschleppt und misshandelt.

5. März 1933
7. April 1933
„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das zum Verlust des Arbeitsplatzes und der wirtschaftlichen Existenz von Zeugen Jehovas führt, die im Staatsdienst stehen. Die wirtschaftliche Existenz anderer Zeugen Jehovas wird in den Folgejahren aufgrund ihrer Verweigerung des „Hitlergrußes“ und ihrer Nichtteilnahme an NS-Aufmärschen und Weigerung, NS-Organisationen beizutreten, zerstört.
7. April 1933
April 1933
Mehrere Länder erlassen Verbote der Bibelforschervereinigung auf der Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ (Mecklenburg 10.4., Bayern 13.4., Sachsen 18.4., Hessen 19.4., Lippe und Thüringen 26.4.).
April 1933
24. April 1933
Erste Besetzung und Durchsuchung des Bibelhauses (Deutschlandbüros der Zeugen Jehovas) in Magdeburg.
24. April 1933
5. Mai 1933
Der Münchener Kardinal Faulhaber dankt der neuen Regierung für ihr Vorgehen gegen „Freidenker“ und „Bibelforscher“. Von evangelischer Seite sind ähnliche Äußerungen erhalten.
5. Mai 1933
Mai und Juni 1933
Weitere Verbote der Bibelforschervereinigung (Baden 15.5., Oldenburg 17.5., Braunschweig 19.5., Lübeck 6.6., Bremen und Hamburg 28.6.).
Mai und Juni 1933
9. Juni 1933
Vertreter von Ministerien, Gestapo sowie katholischer und evangelischer Kirche treffen sich in Berlin zu einer Besprechung über ein Bibelforscherverbot in Preußen. „Strenge staatliche Maßnahmen“ werden gefordert. Bis Mitte der 1930er Jahre gibt es „ein regelrechtes Zusammenspiel zwischen den beiden großen Kirchen und dem Staat beim Vorgehen gegen einzelne kleine Glaubensgemeinschaften“ (Detlef Garbe).
9. Juni 1933
24. Juni 1933
Verbot der Bibelforschervereinigung in Preußen, dem weitaus größten Land, in dem sich auch der deutschlandweite Sitz der Zeugen Jehovas befindet. Dieses Verbot bedeutet faktisch ein reichsweites Verbot (das nachträglich auf dem Verwaltungswege am 1. April 1935 ausgesprochen wird) und führt zum Ende aller offiziellen Aktivitäten von Zeugen Jehovas im nationalsozialistischen Deutschland.
24. Juni 1933
25. Juni 1933
Etwa 7.000 Zeugen Jehovas, denen das Verbot noch nicht bekannt ist, versammeln sich in Berlin-Wilmersdorf, wo eine „Erklärung“ an die deutsche Regierung gerichtet wird. Darin betont die Führung der Religionsgemeinschaft ihre Friedfertigkeit, unpolitische Haltung und Glaubensfreiheit, einige, auch im Gegensatz zu den eigenen Überzeugungen antijüdisch klingende Formulierungen werden von anwesenden Gläubigen als Anpassungsversuch gegenüber dem Regime kritisiert. Die Forschung konnte mittlerweile viele Mythen um „Erklärung“ und Veranstaltung aufklären. Die nationalsozialistische Regierung fasst die „Erklärung“ als feindlichen Akt auf und intensiviert die Verfolgung.
25. Juni 1933
28. Juni 1933
Endgültige Besetzung des Bibelhauses und der Wachtturm-Druckerei in Magdeburg durch die SA.
28. Juni 1933
1. Juli 1933

Hamburg führt einen morgendlichen Flaggenappell an Schulen ein, auch andere Länder machen u.a. Gedenkfeiern, Aufmärsche, Flaggengruß, Singen der Nationalhymne und des Horst-Wessel-Liedes an Schulen verpflichtend. Damit wird der Schulbesuch für Kinder und Jugendliche aus den Reihen der Zeugen Jehovas zur täglichen Qual und Gewissensnot. Vor allem ab 1936 finden zahlreiche Entziehungen des Sorgerechts statt, Kinder werden ihren als „staatsfeindlich“ geltenden Eltern weggenommen.

Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft entreißt bis 1945 insgesamt etwa 600 Kinder von Zeugen Jehovas ihren Eltern und weist sie Pflegefamilien zu oder verschleppt sie in Erziehungsanstalten.
1. Juli 1933
1. Februar 1934
Württemberg verbietet als letztes Land die Bibelforscher. Ihre Mission war dort seit dem 14.6.1933 verboten, religiöse Versammlungen blieben erlaubt.
1. Februar 1934
7.-9. September 1934
Etwa 1.000 deutschen Zeugen Jehovas gelingt es, ein internationales Treffen der Glaubensgemeinschaft in Basel zu besuchen, wo mit der amerikanischen Leitung eine Untergrundstrategie für die Gläubigen im nationalsozialistischen Deutschland erörtert wird.
7.-9. September 1934
7. Oktober 1934
Deutschland- und weltweit senden Gemeinden von Jehovas Zeugen geschätzt 20.000 Protesttelegramme und -briefe an die Reichsregierung. Darin heißt es auszugsweise „Es besteht ein direkter Widerspruch zwischen Ihrem Gesetz und Gottes Gesetz. Wir folgen dem Rat der treuen Apostel und müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen und das werden wir auch tun.“ Das Telegramm enthält in mehreren Sprachen die Botschaft: „Ihre schlechte Behandlung der Zeugen Jehovas empört alle guten Menschen und entehrt Gottes Namen. Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten.“ Späteren Aussagen zufolge soll Hitler diese Protestschreiben wahrgenommen und den Bibelforschern „Ausrottung“ angedroht haben.
7. Oktober 1934
9. Januar 1935
Nachdem schon etliche männliche Zeugen Jehovas in Konzentrationslagern waren oder sind, wird nachweislich zum ersten Mal eine Zeugin Jehovas in einem Konzentrationslager inhaftiert.
9. Januar 1935
Juni 1936
Die Gestapo bildet ein Sonderkommando zur Verfolgung der Bibelforscher.
Juni 1936
August/September 1936

Eine Verhaftungswelle führt zur Inhaftierung fast der gesamten Führung der deutschen Zeugen Jehovas (u.a. am Berliner Goldfischteich am 22.8.). Viele werden unter Folter verhört. Bis Mitte 1937 sterben bei Verhören und in Gefängnissen 17 der inhaftierten Zeugen Jehovas.

Vermehrt finden vor Sondergerichten in allen Teilen des Reiches gegen Zeugen Jehovas Massenprozesse statt, die häufig bei der ersten Festnahme zu Geldstrafen, im Wiederholungsfall zu Haftstrafen führen, an die in vielen Fällen die KZ-Haft anschließt.
August/September 1936
4.-7. September 1936
Ein von Gestapoagenten überwachter Kongress der Zeugen Jehovas in Luzern prangert die Verfolgung der Glaubensgeschwister unter nationalsozialistischer Herrschaft an und verabschiedet dazu eine „Resolution“.
4.-7. September 1936
12. Dezember 1936
Die Luzerner „Resolution“ mit ihrer Verurteilung der NS-Verfolgung wird in einer klandestin organisierten Aktion im ganzen Reichsgebiet als Flugblatt verteilt. Historiker gehen von etwa 100.000 verbreiteten Flugblättern aus, was diese Aktion zu einer der größten öffentlichen Protesthandlungen in der NS-Diktatur macht. Der „Gegenschlag“ der Gestapo hat tausende Verhaftungen zur Folge. Zunehmend übernehmen Zeuginnen Jehovas die Leitung der Untergrundtätigkeit. An einigen Orten wird die „Resolution“ auch später noch einmal verteilt.
12. Dezember 1936
Dezember 1936
Zeuginnen Jehovas im KZ Moringen weigern sich, Arbeiten für das Winterhilfswerk auszuführen, und werden über Monate mit Briefsperre und Isolation bestraft.
Dezember 1936
22. April 1937
Erlass des Geheimen Staatspolizeiamts, wonach „sämtliche Anhänger der IBV, die nach Beendigung der Strafhaft aus den Gefängnissen entlassen werden, […] unverzüglich in Schutzhaft zu nehmen“ sind. Die „Überführung in ein Konzentrationslager“ wird zum Regelfall. In vielen Konzentrationslagern stellen Zeugen Jehovas 10 Prozent der Häftlinge in dieser Zeit, im Frauen-KZ Moringen im Dezember sogar über 80 Prozent. Mit der Ausweitung der Konzentrationslager und dem gewaltigen Anwachsen der Häftlingszahlen im Zweiten Weltkrieg sinkt prozentual der Anteil von Zeugen Jehovas.
22. April 1937
20. Juni 1937

Ein zweites Protestflugblatt, der im Bibelhaus der Zeugen Jehovas in Bern auf der Grundlage von aus Deutschland in die Schweiz geschmuggelten Verfolgungsberichten zusammengestellte „Offene Brief“, wird in zehntausenden Exemplaren verteilt. Eine noch größere Kampagne ist nicht möglich, weil Flugblätter nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen. Der „Offene Brief“ verurteilt die „Barbarei in einem Lande der ‚Christenheit‘“ und nennt NS-Verbrechen und Täter beim Namen.

Eine auf diese Aktion folgende zweite große Verhaftungswelle führt im Herbst dazu, dass die Zeugen Jehovas keine flächendeckende Untergrundorganisation im Deutschen Reich mehr aufbauen können. Aber weiterhin bestehen Verbindungen zwischen vielen lokalen Netzwerken der Gemeinschaft.
20. Juni 1937
1938

Im Europa-Verlag von Emil Oprecht, der vor allem deutsche Exilliteratur verlegt, erscheint in Zürich das Buch „Kreuzzug gegen das Christentum: Moderne Christenverfolgung. Eine Dokumentensammlung“, das der Deutsch-Amerikaner Martin Christian Harbeck, der Leiter des Zentraleuropäischen Büros der Zeugen Jehovas in Bern, aus Berichten zusammengestellt hat, die von Verfolgten aus Deutschland geschmuggelt wurden. Als nomineller Herausgeber fungiert sein Schweizer Stellvertreter Franz Zürcher.

Das Buch findet große Aufmerksamkeit in der Presse und wird von Thomas Mann unterstützt, der an Harbeck schreibt: „Ich habe Ihr so schauerlich dokumentiertes Buch mit grösster Ergriffenheit gelesen, und ich kann die Mischung von Verachtung und Abscheu nicht beschreiben, die mich beim Durchblättern dieser Dokumente menschlicher Niedrigkeit und erbärmlicher Grausamkeit erfüllte. […] auf jeden Fall haben Sie Ihre Pflicht getan, indem Sie mit diesem Buch vor die Öffentlichkeit traten, und mir scheint, einen stärkeren Appell an das Weltgewissen kann es nicht geben.“

1938
1938

In den Konzentrationslagern inhaftierte Zeugen Jehovas erhalten einheitlich einen „lila Winkel“ als Häftlingsabzeichen, nachdem seit 1936 unterschiedliche Abzeichen zur Stigmatisierung genutzt wurden.

In den vom Nationalsozialismus beherrschten Gebieten Europas erhalten während des Zweiten Weltkrieges Zeugen Jehovas gelegentlich auch andere Kennzeichen wie den „roten Winkel“ der politischen Häftlinge, wenn ihre Gruppenzugehörigkeit falsch eingetragen wird.

1938
6. Oktober 1938
Zeuginnen Jehovas im KZ Lichtenburg werden grausam bestraft, weil sie sich weigern, eine Radioansprache Hitlers anzuhören.
6. Oktober 1938
21. Dezember 1938

Die seit 1935 bei Zeugen Jehovas gebräuchlichen und seit Ende 1937 auch bei Zeuginnen Jehovas eingesetzten „Verpflichtungserklärungen“ werden auf Anordnung von Heinrich Himmler vereinheitlicht. Seit 1937 wurde die Verhängung einer KZ-Haft nach Verbüßung einer regulären Haftstrafe von der Unterzeichnung einer solchen „Erklärung“ abhängig gemacht.

Wurden die früheren, unterschiedlich formulierten Erklärungen, die häufig lediglich mit einem Schuldeingeständnis verbunden waren, von etwa 10 Prozent der Zeugen Jehovas in den KZ und bis zu 50 Prozent in den Gefängnissen unterschrieben, zumeist ohne Auswirkung auf ihre erneute Untergrundaktivität als Zeugen Jehovas nach der Freilassung, wird die vereinheitlichte „Erklärung“ von den meisten Zeugen Jehovas nicht mehr unterschrieben.

Der Glaube der Zeugen Jehovas wird darin als „Irrlehre“ bezeichnet, der Bibelforschervereinigung die Verfolgung „staatsfeindlicher Ziele“ unter dem „Deckmantel der religiösen Betätigung“ vorgehalten. Mit der Unterzeichnung wird erklärt: „Ich habe mich deshalb voll und ganz von dieser Organisation abgewandt und mich auch innerlich von der Lehre dieser Sekte freigemacht.“ Die „Erklärung“ verpflichtet zur Denunziation anderer Bibelforscher und zur Eingliederung in die „Volksgemeinschaft“.

21. Dezember 1938
1939
Der gezielte Terror der SS gegen Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern verschärft sich 1939/40, die Todesraten steigen stark an.
1939
15. September 1939

Der Zeuge Jehovas August Dickmann wird als erster Kriegsdienstverweigerer vor anderen Häftlingen im KZ Sachsenhausen erschossen. Die Hinrichtung wird vom NS-Regime öffentlich gemacht, die „New York Times“ berichtet am 17.9. darüber.

Seit Kriegsbeginn wird Kriegsdienstverweigerung mit dem Tode bestraft. Bis 1945 werden 282 Zeugen Jehovas wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet. Weitere 55 Kriegsdienstverweigerer kommen in der Haft oder in Strafeinheiten ums Leben.
15. September 1939
25. November 1939
Die „Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes“ wird erlassen und tritt beim juristischen Vorgehen gegen Zeugen Jehovas an die Stelle der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28.2.1933. Auch die Gesinnung wird damit strafbar, nicht nur die Betätigung, verbunden mit einer Strafverschärfung.
25. November 1939
19. Dezember 1939
Etwa 400 Zeuginnen Jehovas beteiligen sich an einer Protestaktion im KZ Ravensbrück, indem sie sich weigern, für die Wehrmacht bestimmte Taschen zu nähen. Tage- und teilweise wochenlange grausame Bestrafungen können den Widerstand der Frauen nicht brechen.
19. Dezember 1939
1942
Für Zeuginnen Jehovas, die als Hilfen in SS-Haushalten eingesetzt werden, verbessert sich die Lage in den Konzentrationslagern. Viele von ihnen sind seit Jahren inhaftiert.
1942
6. März 1944
Der Leiter der „Rassehygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ des Reichsgesundheitsamts, Robert Ritter, der zuvor mit seinen Gutachten den Völkermord an den Sinti und Roma vorbereitet hat, kündigt Untersuchungen über die „Sippenherkunft“ der Zeuginnen Jehovas im KZ Ravensbrück an. Diese Biologisierung des Glaubens und Widerstands der Zeugen Jehovas, die in systematische Vernichtung münden könnte, wird jedoch nicht realisiert.
6. März 1944
9. Juni 1944
Außerhalb der Lager werden immer wieder auch Zeuginnen Jehovas wegen „Wehrkraftzersetzung“ mit Zuchthaus bestraft oder hingerichtet – wie an diesem Tag im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee Emmy Zehden, die Kriegsdienstverweigerern Hilfe geleistet hatte.
9. Juni 1944
1945

Befreiung aus den Konzentrationslagern und Ende der NS-Gewaltherrschaft.

In ganz Europa fielen etwa 1.700 Zeugen Jehovas dem NS-Terror zum Opfer, 4.200 waren in Konzentrationslagern inhaftiert, insgesamt etwa 14.000 wurden verfolgt.

1945
9. September 1945
Die „Internationale Bibelforscher-Vereinigung“ lässt sich erneut in Magdeburg ins Vereinsregister eintragen und nimmt ihre Tätigkeit wieder auf.
9. September 1945
24. Juli 1947
Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland bestätigt die offizielle Registrierung von Jehovas Zeugen. Wenig später versagen die sowjetischen Behörden den Zeugen Jehovas, einen Kongress in Leipzig abzuhalten (27.-29.8.).
24. Juli 1947
22. September 1948
Die SED beginnt die Überwachung von Zeugen Jehovas durch die SED-Landesvorstände und den Vizepräsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern, Erich Mielke, auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ).
22. September 1948
23. Mai 1949
Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Es garantiert die Glaubens- und Gewissensfreiheit und in Artikel 4 Absatz 3 das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Wie die Protokolle des Parlamentarischen Rates zeigen, wurde dieses Recht ausdrücklich unter Verweis auf die christlichen Glaubensmärtyrer aus den Reihen der Zeugen Jehovas ins Grundgesetz aufgenommen.
23. Mai 1949
13. September 1949
Das Politbüro der SED beschließt, gegen Zeugen Jehovas und andere als „Sekten“ bezeichnete Gruppen vorzugehen.
13. September 1949
7. Oktober 1949
Gründung der DDR. Gegen Zeugen Jehovas gerichtete Maßnahmen nehmen auf allen Ebenen zu.
7. Oktober 1949
30. August 1950

Überfall auf das Bibelhaus in Magdeburg, Beschlagnahmung des Eigentums der Religionsgemeinschaft. Beginn einer Verhaftungswelle, die mindestens 300 Zeugen Jehovas in der DDR erfasst. Einige von ihnen sterben in der Haft.

Beinahe 700 NS-Opfer werden in der SBZ bzw. der DDR erneut verfolgt. Insgesamt 65 Zeugen Jehovas kommen durch DDR-Verfolgung ums Leben
30. August 1950
31. August 1950
Verbot der Zeugen Jehovas durch DDR-Innenminister Steinhoff.
31. August 1950
4. Oktober 1950
Im Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR gegen neun führende Zeugen Jehovas ergehen Strafurteile, die von 8 bis 15 Jahren bis zu lebenslänglicher Haft reichen. Zahlreiche weitere Prozesse folgen in den kommenden Monaten.
4. Oktober 1950
1./8. April 1951
In der „Operation Nord“ werden etwa 9.800 Zeugen Jehovas aus der Ukraine, Weißrussland, den baltischen Republiken und Moldawien vom Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR nach Sibirien deportiert. Es handelt sich um einen Großteil der sowjetischen Zeugen Jehovas, die vor allem in den westlichen Regionen des am Ende des Zweiten Weltkriegs erweiterten Territoriums der Sowjetunion leben. Die unter grausamen Bedingungen durchgeführte Deportation hat auch zur Folge, dass sich ihr Glaube über das sibirische Lagersystem in anderen Teilen der Sowjetunion ausbreitet.
1./8. April 1951
20./21. Dezember 1958
Vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) beauftragter Einbruch in das Büro der Zeugen Jehovas in West-Berlin, um sich Informationen über die Gläubigen in der DDR zu verschaffen.
20./21. Dezember 1958
6. März 1963

Das MfS leitet die Operation „Sumpf“ ein, um die gesamte Untergrundleitung der Zeugen Jehovas in der DDR auszuschalten und zu verhaften.

Schon zuvor werden neben offener Repression zahlreiche MfS-Operationen eingeleitet, die auf eine Unterwanderung der Gemeinden der Zeugen Jehovas abzielen. Gleichzeitig füttert das MfS westdeutsche Medien mit Falschinformationen über Zeugen Jehovas, oft auch über die NS-Verfolgung, die heruntergespielt oder geleugnet werden soll.

6. März 1963
15. November 1964
Verhaftung von 142 Zeugen Jehovas in der DDR wegen Verweigerung des neu eingeführten Wehrdienstes.
15. November 1964
7. März 1968
In der Bundesrepublik erklärt das Bundesverfassungsgericht die „Doppelbestrafung" von Zeugen Jehovas, die anerkannte Kriegsdienstverweigerer sind und den zivilen Ersatzdienst aus Gewissensgründen ablehnen, für unzulässig.
7. März 1968
1985

Wehrdienstverweigerer werden in der DDR nicht länger wegen Kriegsdienstverweigerung bestraft.

Zahlreiche Nachteile, wie Nichtzulassung zum Studium oder einer beruflichen Ausbildung, bleiben bestehen.
1985
14. März 1990
Anerkennung der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR. Mehr als 5.000 Zeugen Jehovas waren in der DDR inhaftiert worden.
14. März 1990
27. März 1991
Jehovas Zeugen werden in der Sowjetunion rechtlich anerkannt.
27. März 1991
11. Dezember 1992
Jehovas Zeugen werden in der Russischen Föderation rechtlich anerkannt.
11. Dezember 1992
6. April 1994
Der Völkermord an den Tutsi in Ruanda beginnt und führt innerhalb von etwa 100 Tagen zur Ermordung von bis zu einer Million Menschen. Zeugen Jehovas verweigern jegliche Beteiligung am Völkermord. Unter den Ermordeten befinden sich etwa 400 Zeugen Jehovas - Tutsi, die dem Völkermord zum Opfer fielen, sowie Hutu, die Tutsi halfen und sie versteckten oder die sich weigerten, sich an den Morden zu beteiligen.
6. April 1994
März 1996
Jehovas Zeugen werden als Opfer politischer Repression in der Russischen Föderation vollständig rehabilitiert.
März 1996
10. Juni 2010
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entscheidet, dass die Auflösung von Gemeinden der Zeugen Jehovas in Russland einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellt.
10. Juni 2010
20. April 2017
Das Oberste Gericht der Russischen Föderation stellt die Tätigkeit von Jehovas Zeugen auf der Grundlage eines neuen „Extremismusgesetzes“ Russland unter Strafe.
20. April 2017
25. Mai 2017
Der dänische Staatsbürger Dennis Christensen wird verhaftet und als erster von zahlreichen Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation für mehrere Jahre inhaftiert. Er durchläuft mehrere Gefängnisse und Strafkolonien.
25. Mai 2017
17. Juli 2017
Der Appellationssenat des Obersten Gerichts der Russischen Föderation bestätigt Entscheidung vom 20. April. Jehovas Zeugen werden damit in Russland praktisch verboten.
17. Juli 2017
24. Mai 2022

Dennis Christensen wird aus der Haft entlassen und nach Dänemark ausgewiesen.

Zu diesem Zeitpunkt sind weitere 91 Zeugen Jehovas, Männer wie Frauen, aus Glaubensgründen in russischen Gefängnissen inhaftiert.

Zahlreiche Folterungen und Misshandlungen von Zeugen Jehovas in Gefängnissen und durch russische Behörden seit 2018 sind belegt und werden von Menschenrechtsorganisationen und der internationalen Staatengemeinschaft kritisiert.

24. Mai 2022
7. Juni 2022
Der EGMR urteilt in 20 Fällen mit über 1.400 Beschwerdeführern gegen die Russische Föderation und zugunsten von Zeugen Jehovas. Dem Urteil zufolge war das Verbot von Jehovas Zeugen in Russland im Jahr 2017 rechtswidrig. Russland wird aufgefordert, alle anhängigen strafrechtlichen Verfahren gegen Zeugen Jehovas einzustellen, alle inhaftierten Zeugen Jehovas freizulassen und Entschädigung zu leisten. In der Urteilsbegründung widerlegt der EGMR auch detailliert die Behauptung Russlands, die Aktivitäten, Glaubensansichten und Veröffentlichungen von Jehovas Zeugen seien extremistisch.
7. Juni 2022
11. Juni 2022
Präsident Wladimir Putin unterzeichnet zwei Gesetzentwürfe, durch die sich Russland zum 15. März 2022 der Gerichtsbarkeit des EGMR entzieht.
11. Juni 2022

Zusammengestellt von Dr. Tim Müller