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Wie haben Sie den Holocaust überlebt?

Foto von Rudolf Graichen als Junge
Foto von Rudolf Graichen als Junge

Während einer Veranstaltung zur Erinnerung an den Holocaust, äußerte sich ein jüdischer Universitätsprofessor, der sich mit den Konzentrationslagern und den Auswirkungen, die diese auf alle Gefangenen in den Lagern gehabt hatten, zu Beginn seiner Rede wie folgt: „Alle jüdischen Gefangenen in den Lagern hatten keine Wahl. Die einzigen Gefangenen, die wählen konnten, waren Jehovas Zeugen, sie konnten entscheiden zu bleiben oder zu gehen“. Wie kam er zu dieser Schlußfolgerung? Während seiner Nachforschungen hatte er herausgefunden, dass die Nazis für Jehovas Zeugen eine besondere Vorkehrung geschaffen hatten. Sie konnten ein Dokument unterzeichnen, womit sie erklären würden, dass sie ihren Glauben an Gott und Jesus widerrufen und statt dessen ihren Glauben und ihr Vertrauen in Hitler setzen, was die Mehrheit der Deutschen bereits getan hatte. Am Tag nach der Unterschrift hätten sie in einem Zug gesessen, der sie nach Hause zu ihren Familien gebracht hätte. Der Entschluß, das Dokument, mit dem sie ihren auf Gottes Wort gegründeten Glauben widerrufen hätten, nicht zu unterschreiben, bedeutete, dass sie weiterhin der unmenschlichen Grausamkeit ausgesetzt wurden, die die Nazi SS Aufseher benutzten, indem sie ihr Leben so elend wie nur möglich machten, um ihre innere Stärke und Überzeugung zu brechen. Nur sehr wenige Jehovas Zeugen unterschrieben dieses lausige Papier, mit dem sie ihren Glauben und das, was ihrem Herzen lieb gewesen war, widerriefen.

Wir alle kennen das Sprichwort: Laß dich von deinem Gewissen leiten. Wie hätten wir ein reines Gewissen vor uns selbst, unseren Freunden, unserer Familie und insbesondere vor unserem Gott bewahren sollen, nachdem wir alles, was wir als richtig kennengelernt hatten, widerrufen und uns etwas zugewandt und versprochen hätten, nunmehr all das zu tun, von dem wir wussten, dass es falsch ist? Ein gut geschultes Gewissen kann so etwas einfach nicht tun. Jemand sagte einmal anmaßend und ohne das Gesicht zu verziehen zu mir: Natürlich kann ich das. Aber man darf nicht vergessen, dass viele Menschen heute weder ein Gewissen noch irgendwelche Skrupel haben. Kein Wunder, dass sie so handeln können. Sie können jegliches grausames Verbrechen begehen, ohne Gewissensbisse zu haben. Die Nazis haben gerade junge Menschen dazu erzogen, skrupellos und gewissenlos zu sein. Ihr werdet euch fragen, wie dies den Nazis gelingen konnte. Sie benutzen Propaganda, besonders gegenüber jungen Menschen, um diese zu täuschen. Propaganda und noch mehr Propaganda. Jetzt werdet ihr euch fragen, was der Unterschied zwischen Propaganda und Erziehung ist. Da besteht ein sehr großer Unterschied. Erziehung hilft einem jungen Menschen zu überlegen, man lernt, für sich selbst zu denken und Schlussfolgerungen zu ziehen, die auf Tatsachen, mit denen man sich vertraut gemacht hat, beruhen. Propaganda funktioniert anders. Propaganda sagt Dir, was du denken und was du tun sollst.                      

Warum ist es für uns alle wichtig, dies zu verstehen? Weil wir Menschen nicht wie die Tiere geschaffen sind, die nach ihrem Instinkt handeln. Wir wurden vielmehr mit einem Gewissen und freiem Willen erschaffen. Deshalb sind wir auch für alles, was wir tun, verantwortlich, sei es gut oder schlecht. Um es ganz einfach auszudrücken, wir alle werden ernten, was wir gesät haben, Gutes oder Schlechtes. Die Nazis glaubten zwar nicht daran, dass sich dies bewahrheiten würde, aber es wurde trotzdem wahr. Der Tag kam, an dem sie vor Gericht standen und für all die schrecklichen Verbrechen, die sie begangen hatten, geradestehen mussten. Sie versuchten sich herauszureden, indem sie sagten: Wir sind unschuldig, wir haben nur den Befehlen gehorcht. Die Richter akzeptierten diese faule Ausrede nicht und fragten: Hatten Sie kein Gewissen? Menschen sind keine Tiere, dass sie sich wie wilde Tiere benehmen könnten. Menschen sind verantwortlich für das, was sie tun, und daher wurden die großen Nazis gehängt.

Um den Holocaust und die Nazi Propaganda zu überleben, musste ich zunächst eine sehr wichtige Wahrheit für mich selbst lernen. Ich musste verstehen, dass in Deutschland schon ein anderer Krieg geführt wurde, der Krieg um den Sinn der Menschen, darum, wer den Sinn der Menschen kontrolliert. Warum wollten die Nazis diese Kontrolle erreichen? Wir wissen, dass der, der das Denken der Menschen kontrolliert, auch kontrolliert, was sie tun, er hat die Kontrolle über ihr gesamtes Leben. Es ist leicht zu erkennen, dass es in Wirklichkeit darum ging, wer den Kampf um das Denken der Menschen gewinnen würde. Würde ich aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen auch zusammenbrechen, nachgeben und mich der Nazi Propaganda anpassen? Jemand hat einmal gesagt: Laßt euch nicht von der Welt in ihre Form pressen.

Es ging also um viel viel mehr als nur darum, das eigene Leben zu retten, indem man ein Stück Papier unterzeichnete und damit seinem Glauben an Gott und Jesus abschwor, und sich den Nazis und dem Rest der Deutschen anschloss. Die entscheidende Frage war: Wer verdient meine Ergebenheit oder Loyalität wirklich? Verdient sie dieser grausame und skrupellose menschliche Diktator mit seiner mächtigen politischen Partei? Oder verdient sie nicht vielmehr der allmächtige Gott Jehova, der Schöpfer aller Dinge im Himmel und auf der Erde? Leider versagte die Mehrheit der Deutschen erbärmlich in diesem wichtigen Test ihrer Loyalität.

Ich hatte mich allerdings dafür entschieden, dass meine Ergebenheit und Loyalität Gott und seinem Königreich oder seiner Regierung gehörten und zwar unverrückbar. Wie dankbar bin ich Gott und meinen Eltern heute, die mich gelehrt hatten, für das, was richtig ist einzustehen und nicht aus Furcht vor Einschüchterung nachzugeben. Ich kann ehrlich sagen, dass meine Gottesfurcht und mein freiwilliger Gehorsam ihm gegenüber mir half, anders zu sein. Ich fand  die innere Stärke, um mit einem reinen Gewissen den schrecklichen Alptraum des Nazi Holocaust in Deutschland zu überleben.

Ich möchte noch einen Gedanken für die jüngeren Schüler in eurer Klasse äußern.

In einer Schule in Oregon besprachen wir den Holocaust. Dort hatten sie ein interessantes großes Transparent angebracht, auf dem stand: „ Steh für das, von dem du weißt, dass es richtig ist, ein, auch wenn du ganz alleine stehst.“  In meinen Fall war es buchstäblich so.

Allerdings muß man vorsichtig sein. Wir müssen erst sicher sein, was richtig ist und nicht nur raten oder vermuten, was richtig sein könnte ( denkt nur an die vielen jungen betrogenen Hitlerjungen). Nur dickköpfig oder uneinsichtig zu sein, führt zu keinem guten Ende. Wenn man jung und unerfahren ist, kann das leicht passieren. Bevor ihr euch also entscheidet, was richtig oder falsch ist, unterhaltet euch mit jemandem, der älter ist. Es tut nicht weh, zu fragen und wenn man zuhört, mag man etwas lernen, das man noch nicht gewusst hat.

Es war mir ein Vergnügen, eure Fragen zu einem sehr schwierigen Thema zu beantworten. Wahrscheinlich werden nicht alle von euch mir zustimmen. Aber ich hoffe, dass es zumindest einige von euch berührt und euch hilft, bestimmte Fallgruben in eurem jungen Leben zu vermeiden, damit ihr nicht für den Rest eures Lebens etwas bereuen müsst. Jemand hat einmal gesagt, ein schlechtes Gewissen zu haben, ist wie beim Laufen einen kleinen Stein im Schuh zu haben. Ihr kennt das Ergebnis. Es kann das Leben elend machen. Also warum nicht von vorneherein so etwas vermeiden? Seid ihr einverstanden? Prima. Ich grüße euch von ganzem Herzen und möge Gott euch segnen.

Foto von Rudolf Graichen
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