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Warum haben Sie die Erklärung nicht unterschrieben?

Etwas zu unterzeichnen um die Freiheit zu erlangen scheint eine einfache Entscheidung zu sein. Aber diese Erklärung bedeutete sowohl für die Nazis als auch für die Zeugen viel mehr als ein unterschriebenes Stück Papier.

Simone Arnold Liebster als Mädchen
Simone Arnold Liebster als Mädchen

Die Nazis wollten mit dieser Erklärung die Entschlossenheit der Zeugen, für ihren Glauben einzustehen, brechen. Ein Zeuge konnte jederzeit unterschreiben und wäre dann sofort aus dem Konzentrationslager oder dem Gefängnis entlassen worden. Nur Zeugen Jehovas, damals auch als lila Winkel bekannt, wurde diese Möglichkeit eingeräumt.

Für die Zeugen stellte diese Erklärung den grundsätzlichen Widerspruch zwischen den Nazi Gesetzen und ihrem christlichen Glauben dar. Ich persönlich hätte das Unterschreiben so empfunden, dass ich mein Gottgegebenes Versprechen, für ihn Zeugnis abzulegen, gebrochen hätte. Lassen Sie mich das erklären:

Wenn jemand als Zeuge Jehovas getauft wird, erklärt er damit öffentlich, dass er gelobt hat, Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben.  Es bedeutet auch zu versprechen, dass er Gottes Gesetze und moralisch hohe Prinzipien, wie sie in der Bibel zu finden sind, halten wird und für diese Zeugnis ablegen, das heißt dieses Wissen mit anderen teilen wird. Für einen Zeugen steht Gottes Gesetz unangefochten an erster Stelle. Ist ein Zeuge gezwungen sich zu entscheiden, ob er Gottes Gesetz oder menschlichen Gesetzen gehorcht, wird er sich für Gottes Gesetz entscheiden, selbst wenn dies Verfolgung oder den Tod bedeutet.

Regierungen, die die Freiheit des Gewissens achten, zwingen Menschen nicht, sich zwischen Gottes Gesetz und ihren Gesetzen zu entscheiden. Aber das Nazi Regime wollte jeden Menschen zwingen, seinen Gesetzen zu gehorchen, selbst den Gesetzen, die verlangten, anderen Schaden zuzufügen oder sie zu töten.

Deshalb wurden Zeugen Jehovas, damals auch Bibelforscher genannt, schon kurz nach der Machtergreifung der Nazis in 1933 verboten. In den Augen der Nazis war die Religion der Zeugen Jehovas gefährlich, weil sie den Unterschied zwischen Gottes Gesetz der Liebe und dem Nazi Gesetz des Hasses aufzeigte.

Die Regierung verbot die Bibeln, Bücher und Zeitschriften der Zeugen und untersagte den Zeugen, über ihren Glauben mit anderen zu sprechen oder sich mit ihren Glaubensbrüdern zu versammeln. Hitler verlangte Ehre und Gehorsam, etwas was nur Gott und dem von ihm auserwählten König Jesus zusteht. Jeder Bürger sollte einen speziellen Gruß benutzen, nicht Hallo oder Guten Morgen, sondern Heil Hitler. Das bedeutet Hitler ist Rettung, Hitler wird uns retten. Jehovas Zeugen glauben jedoch, dass nur Gottes Herrschaft die Menschheit retten kann. Daher gehorchten sie Gottes Gesetz und weigerten sich:

  • Heil Hitler zu sagen
  • Mitglied der NSDAP oder einer anderen Partei zu werden
  • In der Deutschen Wehrmacht zu dienen oder irgendeine Arbeit zu verrichten, die den Krieg unterstützt hätte.

Da die Zeugen entschlossen für Gewaltlosigkeit eintreten, rebellierten sie nicht gegen die Regierung. Aber die Nazis sahen in ihnen Verräter und sperrten jeden Zeugen ein, der

  • Literatur der Zeugen Jehovas besaß oder verbreitete
  • biblische Zusammenkünfte abhielt oder besuchte, selbst wenn es sich um die eigene Wohnung handelte
  • sich weigerte, einem Nazi Gesetz zu gehorchen, das im Widerspruch zu Gottes Gesetz stand

Die Nazis boten die Erklärung als einen einfachen Weg aus unserem Gottgegebenen Versprechen an.  Aber wenn man die Erklärung genau liest, erkennt man, was sie wirklich bedeutete:

1. Ich habe erkannt, dass die Internationale Bibelforschervereinigung eine Irrlehre verbreitet und unter dem Deckmantel religiöser Betätigung lediglich staatsfeindliche Ziele verfolgt.

2. Ich habe mich deshalb voll und ganz von dieser Organisation abgewandt, und mich auch innerlich von dieser Sekte freigemacht.

Ich fragte mich, kann ich als Christ wirklich lügen und meinen Glauben öffentlich verleugnen?

3. Ich versichere hiermit, dass ich mich nie wieder für die Internationale Bibelforschervereinigung betätigen werde. Personen, die für die Irrlehre der Bibelforscher an mich werbend herantreten oder in anderer Weise ihre Einstellung als Bibelforscher bekunden, werde ich unverzüglich zur Anzeige bringen. Sollten mir Bibelforscherschriften zugesandt werden, so werde ich diese umgehend bei der nächsten Polizeidienststelle abgeben.

Konnte ich wirklich zustimmen, einen Mitchristen an die Polizei auszuliefern, wissend, er würde dieselbe brutale Behandlung erleiden, der meine Eltern und ich ausgesetzt waren?

4. Ich will künftig die Gesetze des Staates achten, insbesondere im Falle eines Krieges mein Vaterland mit der Waffe in der Hand verteidigen und mich voll und ganz in die Volksgemeinschaft eingliedern.

So lange die Gesetze des Staates nichts von mir verlangten, was im Widerspruch zu den in der Bibel aufgezeichneten hohen moralischen Prinzipien stünde, würde ich gerne gehorchen.  Mein Gewissen verbot es mir jedoch, menschliche Gesetze über Gottes Gesetz zu stellen.  Es war z.B. unmöglich für mich, mein Vaterland mit Waffen zu verteidigen. Wenn die Gesetze des Landes gegen Gottes Gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, verstießen, könnte ich ihnen nicht gehorchen.

5. Mir ist eröffnet worden, dass ich mit meiner erneuten Inschutzhaftnahme zu rechnen habe, wenn in meiner heute abgegebenen Erklärung zuwiderhandle.

Könnte ich noch ein reines Gewissen vor Gott und Menschen sowie Herzensfrieden haben ?

Wenn ich unterschrieben hätte, um weiteren Leiden zu entgehen, hätte ich mich wie ein Feigling gefühlt. Die Polizei hätte mir im übrigen nicht vertraut und hätte mich weiterhin überwacht. Es mag sein, dass die Nazis mir Freiheit versprachen, aber ich wäre nicht wirklich frei gewesen, weder in meinem Herzen noch vor meinem Gewissen noch frei von der Überwachung der Nazis. Deshalb haben meine Eltern und ich wie viele, viele andere Zeugen sich geweigert, die Erklärung zu unterschreiben.