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Biographie Emma Arnold – Kapitel 5 (1943-1945): Verhaftung

Ungefähr fünf Wochen nachdem Simone am 24.08.1943 weggegangen war, stieg ein Feldhüter hinauf nach Bergenbach. Emma dachte sich, daß er ihretwegen kam. Bevor er den Hof erreichen konnte, lief sie ihm entgegen, um ihrer Mutter den Schock zu ersparen. Der Man übergab ihr ein Schriftstück. Es befahl ihr, sich sofort bei der Polizei in Krüth zu melden. Allerdings machte er ihr einen unerwarteten Vorschlag. Sie durfte ohne Begleitung gehen und sich den Weg selbst aussuchen. Er würde einen anderen Weg zurück wählen. Emma beschloß, den kürzesten Weg zu wählen, den Weg, den sie immer zur Fabrik gegangen war.

Sie wußte, daß ihr gerade die Möglichkeit zu fliehen eingeräumt worden war. Sie hätte nur auf die Spitze der Gebirgskette steigen müssen, wo sie die deutsch-französische Grenze hätte überqueren können und in Sicherheit gewesen wäre. Aber Emma kannte auch die Vergeltungsmaßnahmen der Nazis. Der Preis für ihre Flucht könnte das Leben ihres Ehemanns oder sogar das ihrer Eltern sein. Sie zögerte keine Sekunde. Emma hatte sich bei der Polizei gemeldet, noch bevor der Feldhüter zur Wache zurückgekehrt war. Sie erhielt den Befehl, mit dem Zug nach Mühlhausen-Dornach zu fahren und sich dort bei der Polizei zu melden.

Ein Landjäger bot Emma eine Gelegenheit über die nächste Grenze zu entkommen, was einige steile Kletterei auf den Berg bedeutete
Ein Landjäger bot Emma eine Gelegenheit über die nächste Grenze zu entkommen, was einige steile Kletterei auf den Berg bedeutete

Die Polizeiwache befand sich genau gegenüber dem katholischen Pfarrhaus, wo der Priester wohnte. Emma stand vor einem älteren Polizisten aus Deutschland. Mit einem verlegenen Nicken in Richtung Pfarrhaus sagte er entschuldigend: „Ein von einer Hundemeute gejagtes Kaninchen hat keine Chance zu entkommen“. Er hatte den Befehl, Emma zu verhaften und sie sofort der Gestapo zu übergeben.

Seit Adolphe verhaftet worden war, hatte Emma ständig ein medizinisches Mieder mit einem Luftloch getragen, in dem sie eine kleine Bibel bei sich trug. Bei der Aufnahme im Gefängnis mußte sich Emma ausziehen. Als die weibliche Wache das seltsam aussehende Mieder sah, sagte sie: „Wir haben keine Zeit, dieses komplizierte Mieder aufzuschnüren“. Einige Tage später wurde Emma in das elsässische Lager Schirmeck verlegt, wo sie auch vier Zeuginnen aus Mühlhausen traf. Ohne weitere Erklärungen gab es keine weiteren Leibesvisitationen, sodaß sie die Bibel in das Lager schmuggeln konnte. Sie teilte die Bibel sofort in fünf Teile, je ein Teil für sich und ihre vier „Schwestern“.”

Sofort in Einzelhaft

Die erste Arbeit für Emma bestand darin, eine Decke auszubessern. Sie hatte kaum damit angefangen, als eine junge weibliche Wache namens Lehmann ihr die Decke wegnahm und ihr stattdessen eine Uniform zum ausbessern gab. Emma weigerte sich, diese mit dem Krieg 
zusammenhängende Arbeit auszuführen. Sie mußte bei Kommandant Bück erscheinen, der sie zur Einzelhaft im Bunker verurteilte. Er ordnete an, sie solle solange kein Essen erhalten, bis sie die Arbeit erledigt hatte.

Kaum im Lager angekommen war sie schon in Einzelhaft gekommen. Bück sah jeden Tag nach Emma und wiederholte, sie werde erst wieder Essen erhalten, wenn die Arbeit getan sei. Sie erwiderte unberührt: „Falls Sie bisher noch nicht über Leichen gegangen sind, wäre meine dann eben die erste“.

Am dritten Tag sagte Bück: „Sie törichte Frau. Die Jacke wird, wenn sie sie ausgebessert haben, einem Gefangenen gegeben“.

„Das hätten Sie früher sagen können“, erwiderte sie, als er mit einem Grinsen wegging.

Am nächsten Tag fand er die Jacke ausgebessert und ordentlich zusammengelegt vor. Er inspizierte sie und bekam einen Wutanfall. Sie hatte sie zu einer Jacke eines Zivilisten abgeändert.

„Haben Sie nicht gesagt, ein Gefangener würde sie bekommen? Sie wollten doch sicherlich einem Gefangenen kein militärisches Kleidungsstück geben, nicht wahr?“

Er brüllte: „Sie bleiben hier solange ich es befehle“. Es dauerte zwei volle Wochen, bis sie freigelassen wurde.

Nach ihrer Rückkehr in die Barracke setzte Emma es sich zum Ziel, den gedemütigten und mißhandelten Neuankömmlingen eine moralische Zuflucht zu bieten. Sie tröstete sie mit Bibeltexten, half ihnen, sich an das Lagerleben anzupassen und auf jede erdenkliche sonstige Art. Unter denen, die regelmäßig zu ihr kamen, war eine Gruppe sehr junger Mädchen, die in ihr eine Mutter sahen.

Die Mädchen waren um Emma versammelt und hören ihr zu, während sie aus der Bibel vorlas, als sie von Lehmann, der gefährlichen Wache, der die Gefangenen den Namen Hyäne gegeben hatten, entdeckt wurden. Sie drehte ihren großen Diamantring nach innen und schlug die Mädchen grausam, die hiervon bleibende Narben in ihren Gesichtern zurückbehielten. Sie wagte es nicht Emma anzurühren, sondern schickte sie zu Bück. Bibellesen war ein Verbrechen, es wurde als Schüren von offenem Widerstand angesehen. Bück schickte Emma hierfür wieder in dem Bunker. Dieses Mal sperrte sie die Wache in die Zelle neben das Vernehmungszimmer, so daß sie täglich den schrecklichen Schreien der gequälten Opfer zuhören mußte. An manchen Tagen tropfte Blut unter der Tür in ihre Zelle.

Besuch von einem „Admiral“

Die Zellentür wurde geöffnet und ein hochdekorierter Besucher stand von seinen Leibwächtern umgeben da. Emma stand still und sagte: „Arnold, Emma, Bibelforscher“.

Er schnaubte: „Ha. Sie haben das jüdische Buch gelesen“.

Emma hatte keine Ahnung von militärischen Auszeichnungen und erwiderte höflich: „Ja Admiral“.

Er brach in lautes Gelächter aus und ging weg. „Ein Admiral, Ich bin ein Admiral.“

Später kam ihre Wache zurück und sagte zu ihr: „ Sie haben wirklich Glück. Das war Himmler. Er war gekommen, um die Wiederholungstäter verschwinden zu lassen“.

Selbst in diesem Horrorkabinett fand Emma Hilfe. Eine Heißwasserleitung verlief in der Nähe ihres Zellenfußbodens. Diese heiße Quelle war genau die Behandlung, die sie für ihre Blasenentzündung benötigte. Nach einigen Wochen der Isolation war sie vergangen. Bück schickte sie zurück in eine Barracke, wo es kein fließendes Wasser gab. Hier waren weibliche Gefangene, die an Syphilis litten, eingesperrt. Jeweils drei Frauen mußten sich dasselbe Wasserbecken teilen. Emma kaufte mit ihrem wenigen Geld Chlor und konnte so ein weiteres Komplott Bücks vereiteln.

Das gesamte Lager wurde nach Deutschland gebracht, um für die Rüstungsabteilung in Gaggenau zu arbeiten. Emma erhielt die Aufgabe, für eine ihr feindlich gesinnte SS Familie zu arbeiten. Sie behandelten sie unbarmherzig und weigerten sich sogar, Emma auch nur ein Glas Wasser zu geben. Dennoch nutzte Emma unaufhörlich ihre Nähkünste, um aus abgetragenen Kleidungsstücken neue Kleider für die Kinder zu nähen.

Schwere Bombenangriffe ließen die Menschen sich um Schutz in einem Luftschutzkeller drängeln. Als eine Lagerinsassin durfte sich Emma nicht unter Zivilisten mischen und mußte daher zu dem Luftschutzkeller im Lager zurückrennen. Als sie durch einen Tomatengarten rannte, verschärfte sich die Bombardierung um sie herum und begrub sie im Boden, als gerade ein Schwefelfeuer alles um sie herum in Brand setzte. Sie erreichte das Lager unverletzt.

Kurz vor dem Tod

Emma bekam einen schweren Husten und mußte durch Marguerite, eine andere gefangene Zeugin ersetzt werden. Der Husten verstärkte sich und Emma war ans Bett gefesselt. Ein männlicher Gefangener, der Arzt war, kam in ihre Barracke, um an der Elektrik zu arbeiten. Er sagte zu Emma, der Husten käme nicht von einer Erkältung, sondern sei ein Symptom des Hungers, das den baldigen Tod ankündige.

Der Fliegeralarm ertönte erneut und forderte alle auf, in den Luftschutzkeller zu gehen. Josephine, Rose, Marguerite und Hélène, die alle mit Emma die Bibel studiert hatten, beschlossen, ihre „Mutter“ nicht allein zu lassen. An ihrem Bett kniend beteten sie abwechselnd laut. Die extrem starke Bombardierung erschütterte den Boden wie bei einem Erdbeben. Eine betäubende Explosion übertönte ihr anscheinend letztes Gebet. Dann ertönte das Signal „Entwarnung“, welches das Ende des Luftangriffs anzeigte. Als sie die Barackentür öffneten sahen sie, daß die umliegenden Baracken zerstört waren. Allein ihre Baracke hatte nur einen geringen Schaden erlitten.

Die fünf Schwestern im Jahr 1950
Die fünf Schwestern im Jahr 1950

Eine Gruppe älterer Männer umringten den Kommandanten und beschworen ihn, ihnen Gefangene zu geben, die etwas von der Kartoffelernte verstanden. Rose bot ihre Dienste an, obwohl sie noch nie ein Kartoffelfeld gesehen hatte. Der Kommandant wies sie einem der Männer zu. Während sie auf dem Weg zu dem Hof waren, fragte sie der ältere Bauer, warum sie im Lager war. Als sie es ihm erklärte, hielt er plötzlich an und deutete auf einen auf Milchviehhaltung spezialisierten Bauernhof. „Geh dorthin. Die alte Frau ist eine von euch. Du kannst mit ihr reden, während ich mir Zigaretten kaufe“.

Rose Gassmann
Rose Gassmann

Die Frau mußte wie alle Bauern die strengen Regeln über Rationierung befolgen, aber sie bot Rose ein klein wenig Milch an. Rose wollte die Milch für Emma mitnehmen. Sie fanden eine kleine Flasche, die Rose in ihrem Schulterpolster verstecken konnte. Jedes Mal, wenn sie das Lager betrat, wurde sie mit erhobenen Armen durchsucht, aber die Wachen fanden nie die Flasche, die sie gerade oberhalb des Ärmels hineingesteckt hatte. Rose arbeitete viele Tage für den Bauer, sodaß Emma viele Nächte heimlich die Milch trinken und eine kleine Karotte, die Maguerite hereingeschmuggelt hatte, essen konnte. Diese über Wochen bewiesene Tapferkeit rettete Emmas Leben.