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Pressemitteilung: Gemeinsame Stellungnahme

Amoktat in Hamburg verlangt Sorgfalt der Berichterstattung und Solidarität mit den angegriffenen Zeugen Jehovas

Wir stehen an der Seite der Zeugen Jehovas, die am Abend des 9. März 2023 in ihrer Hamburger Gemeinde mit brutaler Gewalt angegriffen wurden. Wir fühlen mit den Verletzten, mit der Mutter des ermordeten ungeborenen Kindes, mit den Familien und Freunden der Ermordeten. Wir gedenken der sieben Menschen, deren Leben an diesem Abend grausam ausgelöscht wurde.

Die Ermordeten waren Teil einer christlichen Glaubensgemeinschaft, die in Geschichte und Gegenwart immer wieder gewaltsam angegriffen und verfolgt wurde und wird. Jehovas Zeugen waren die erste Religionsgemeinschaft, die von den Nationalsozialisten verboten wurde. Die Nationalsozialisten ermordeten etwa 1.800 Zeugen Jehovas, weil sie den Kriegsdienst und den Führerkult verweigerten, christlichen Widerstand gegen die Terrordiktatur leisteten und anderen Verfolgten beistanden. Auch unter kommunistischer Gewaltherrschaft in der DDR und Osteuropa kamen Hunderte Zeugen Jehovas ums Leben, Tausende in Haft. 1994 wurden 400 Zeugen Jehovas in Ruanda ermordet, weil sie sich dem Völkermord entgegenstellten. In der Russischen Föderation werden Zeugen Jehovas heute verfolgt, entrechtet, misshandelt. Mehr als 100 befinden sich in Gefängnissen und Straflagern.

Politik, Gesellschaft und Medien in der Bundesrepublik haben eine historische Verantwortung gegenüber Jehovas Zeugen. Im Augenblick der Ermordung von sieben deutschen Staatsbürgern dürfen sich jahrzehntelang gepflegte Vorurteile nicht Bahn brechen. Insbesondere den Medien obliegt eine Sorgfaltspflicht. Ähnlich wie bei anderen Minderheiten ist die Schwelle zu Häme, Hass und Hetze schnell überschritten, wie sich bereits jetzt in den Sozialen Netzwerken, aber auch in einigen Kommentaren der seriösen Presse zeigt.

Tatsache ist, dass diese Vorurteile durch solide Forschung und in gerichtlichen Verfahren widerlegt wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat Jehovas Zeugen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt die Diskriminierung von Jehovas Zeugen verurteilt.

Tatsache ist, dass es sich bei Jehovas Zeugen um eine friedliebende, der Gewaltlosigkeit verpflichtete christliche Gemeinschaft handelt, für die Antirassismus seit Jahrzehnten gelebte Wirklichkeit ist.

Tatsache ist, dass viele der Vorurteile, die sich gegen Jehovas Zeugen als Religionsgemeinschaft sowie gegen die weltweit über acht Millionen, in Deutschland beinahe 200.000 Zeugen Jehovas als Gläubige richten, in Zeiten des antipluralistischen Denkens und der »Volksgemeinschafts«-Ideologie geprägt wurden. Völkische, nationalsozialistische und kirchliche Kreise haben mit ihnen Verfolgung und Gewalt begründet. Auch in der Bundesrepublik wurde jahrzehntelang die Sichtweise auf diese christliche Gemeinschaft von »Experten« dominiert, die keineswegs unbefangen waren und deren eigene Kirchen keinen den Zeugen Jehovas vergleichbaren Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hatten.

Tatsache ist, dass Amoktäter nicht selten Opfer in ihrem persönlichen Umfeld – etwa an ihren (ehemaligen) Schulen – suchen. Es verbietet sich, über einen Zusammenhang zwischen der Glaubensgemeinschaft und den Motiven des Täters zu spekulieren. Die Opfer eines Verbrechens können und dürfen nicht zur Erklärung der Taten eines Verbrechers missbraucht werden. Es verbietet sich, dieses schreckliche Verbrechen als Anlass für vorurteilsbeladene Berichterstattung oder Kommentare über Jehovas Zeugen zu missbrauchen.

Es ist geboten, die Ermittlungen abzuwarten und die Würde der Opfer dieses Verbrechens zu wahren.

Wir fordern alle Bürgerinnen und Bürger und insbesondere Politik und Medien auf, der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Jehovas Zeugen gerecht zu werden und nicht nur heute dieser christlichen Gemeinschaft ihre Solidarität zu beweisen.

Treten wir alle jedem Vorurteil, jedem Hass, jeder Hetze entgegen. Verteidigen wir die Würde des Menschen, verteidigen wir die Würde jedes einzelnen Zeugen und jeder einzelnen Zeugin Jehovas.

Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Uwe Neumärker
Direktor

Arnold-Liebster-Stiftung
Uwe Klages, Uwe Langhals, Dr. Tim Müller
Vorstände

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Kontakt

Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 030 26 39 43 26
presse@stiftung-denkmal.de

Link zur gemeinsamen Stellungnahme auf der Webseite der Stiftung Denkmal

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PDF der Stellungnahme in verschiedenen Sprachen zum Download

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