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Vier Stolpersteine für Familie Siebeneichler – als Zeugen Jehovas brutal verfolgt

Foto der Familie Siebeneichler aus dem Jahr 1931. Archiv Rosemarie Werner
Foto der Familie Siebeneichler aus dem Jahr 1931. Archiv Rosemarie Werner

Im Rahmen der „Jüdischen Woche“ 2023 sind in Leipzig vier Stolpersteine für die Familie Siebeneichler verlegt worden. Zwischen 1935 und 1945 waren sie über 21 Jahre inhaftiert – in sieben KZs. Sohn Karl starb 1942 im KZ Sachsenhausen.

Die Leipziger Familie Siebeneichler – bestehend aus den Eltern Marie und Karl sowie den Kindern Karl und Herta – litt in der NS-Zeit in den Konzentrationslagern Buchenwald, Lichtenburg, Ravensbrück, Sachsenhausen, Flossenbürg, Sachsenburg und Moringen. Als Zeugen Jehovas leisteten sie friedlichen, religiös motivierten Widerstand.

Marie (Jahrgang 1888) und Karl Siebeneichler (Jahrgang 1886) stammen aus Steinschönau in Böhmen. Als ein Jahr nach ihrer Heirat ihr Sohn Karl am 31. August 1911 geboren wird, sind sie nach Leipzig umgezogen. Am 29. Januar 1914 folgt Tochter Herta. Ab 1922 beschäftigen sich die Vier mit der Lehre der Bibelforscher (ab 1931: Jehovas Zeugen). 1924 tritt die Familie aus der katholischen Kirche aus. Die Vier lassen sich als Bibelforscher taufen.

Als erster inhaftiert wird Sohn Karl, der nacheinander bei zwei jüdischen Unternehmen in Leipzig arbeitete – bei der Textilgroßhandlung Herman Samson und beim Seidenhaus Jacoby. Er wird im April 1935 beim Missionieren von Tür zu Tür festgenommen. Das Sondergericht Freiberg verurteilt ihn zu vier Monaten. Acht Monate sitzt er im KZ Sachsenburg ein.

Ende 1936 organisiert er eine Flugblattaktion in Bayern. In der „Luzerner Resolution“ protestieren Jehovas Zeugen am 12. Dezember 1936 deutschlandweit gegen die Verfolgung. Karl Siebeneichler wird 1937 in Augsburg verhaftet und zu vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Über das KZ Flossenbürg kommt er danach in das KZ Sachenhausen – mindestens die 14. Haftstation für ihn. Am 23. Dezember 1942 um 1.20 Uhr stirbt Karl Siebeneichler im Alter von 31 Jahren im KZ Sachsenhausen. Eine Brustfell- und Lungenentzündung wird als Todesursache angegeben.

Obwohl die anderen drei Familienmitglieder die NS-Verfolgung überleben, erleiden auch sie schlimme Repressalien. Mit der Verlobten von Karl Siebeneichler jun., Emma Martin, stehen sie im Juni 1937 vor dem Sondergericht Freiberg, das im Leipziger Landgerichtsgebäude in der Harkortstraße tagt. Bei dem Prozess sind 186 Zeugen Jehovas angeklagt. Die drei Siebeneichlers bekommen Strafen zwischen fünf und 21 Monaten.

Vater Karl Siebeneichler wird nach zwischenzeitlicher Freilassung im September 1938 aufgrund einer Denunziation („Ich grüße niemals mit Heil Hitler. Ich bin Bibelforscher.“) festgenommen und ins KZ Buchenwald gebracht. Als er die Frage bejaht, ob er noch an Jehova Gott glauben würde, verprügelt ein SS-Mann den Kunstmaler brutal. Nach der Befreiung 1945 hilft er mit, das Schrecken in Buchenwald fotografisch zu dokumentieren.

Seine Tochter Herta landet 1937 im KZ Moringen. Auf Ersuche ihres Verlobten Herbert Werner, mit dem sie später die am 7. August 1941 geborene Tochter Rosemarie hat und der als Soldat am 11. Dezember 1942 bei Tonschuki an der Ostfront stirbt, wird Herta Siebeneichler Ende 1937 entlassen. In der Zeit danach weigert sie sich, ihre Wohnung mit Hakenkreuzflaggen zu schmücken. „Meine Mutter ist im KZ, mein Vater ist im KZ, mein Bruder ist im KZ, die Verlobte meines Bruders ist im KZ. Und ich soll Hakenkreuzfahnen aufhängen?“

Mutter Marie Siebeneichler kommt nach in Cottbus und Leipzig verbüßter Haftstrafe im November 1938 in das KZ Lichtenburg, im Mai 1939 in das KZ Ravensbrück. Dort weigert sie sich aus christlicher Überzeugung mit 400 anderen Zeuginnen Jehovas, Munitionstaschen auf Soldatenuniformen zu nähen. Der Lagerkommandant bestraft die Gruppe im eiskalten Winter wochenlang hart. Auch SS-Reichsführer Heinrich Himmler schafft es bei einem Besuch nicht, die Überzeugung der Zeuginnen Jehovas zu brechen.

Bei der Stolperstein-Verlegung für die Familie Siebeneichler am 28. Juni 2023 sprach auch das letzte verbliebene Familienmitglied, Rosemarie Werner. „Es ist bewegend für mich, dass diese Stolpersteine an so liebe und herzensgute Menschen erinnern, die so Schlimmes erleben mussten“, sagte die Tochter von Herta Siebeneichler. „Ich habe aus den Erzählungen, die sich ab und zu in der Familie ergaben, die Fassungslosigkeit herausgehört darüber, was Menschen anderen Menschen anzutun in der Lage sind. Rache- oder Hassgedanken sind jedoch nie aufgekommen.“

„Ihr starker Glaube und ihr Gottvertrauen haben ihnen Hoffnung gegeben und Kraft zum Durchhalten – und das auch bei wechselnden Ideologien“, erklärte Rosemarie Werner weiter zu der Verfolgung ihrer Familie. „Das ist für mich immer Vorbild gewesen, und ich bin dankbar, in Freiheit leben zu können.“ Mit der Erinnerung an die Familie Siebeneichler gibt es nun sieben Stolpersteine zum Gedenken an in der NS-Zeit verfolgte Zeugen Jehovas in Leipzig.

Am 26. Oktober 2023 ist die nächste Stolperstein-Verlegung für einen Zeugen Jehovas in Leipzig geplant – für Alfons Mroß. Wegen Wehrdienstverweigerung wurde er am 5. November 1943 im Alter von 29 Jahren im Zuchthaus Roter Ochse in Halle/Saale enthauptet. Unter den fünf weiteren Zeugen Jehovas, die an diesem Tag im Roten Ochsen hingerichtet wurden, war auch Marcel Sutter, der Freund von Simone Arnold Liebster. Insgesamt wurden 57 Zeugen Jehovas während der NS-Zeit in Halle/Saale hingerichtet.

Weitere Informationen: http://www.stolpersteine-leipzig.de/