Die unbekannten Judenhelfer: Eine vergessene Seite des Widerstands

Ein Buch von Christoph Wilker über die Hilfe der Zeugen Jehovas für jüdische Mitmenschen im Nationalsozialismus

In der Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus werden oft die großen Namen der Widerstandskämpfer erwähnt. Doch es gab auch stille Helden, deren Geschichten lange im Verborgenen blieben. Christoph Wilker beleuchtet in seinem Buch „Die unbekannten Judenhelfer“ eine bisher wenig beachtete Seite des zivilen Widerstands: die Hilfe der Zeugen Jehovas für ihre jüdischen Mitmenschen während der NS-Zeit.

Selbst verfolgt und dennoch hilfsbereit

Die Zeugen Jehovas (bis 1931 Bibelforscher) gehörten selbst zu den verfolgten Gruppen im NS-Regime. Sie verbreiteten Protestflugblätter, lehnten den Hitlergruß ab und verweigerten den Kriegsdienst. Für diesen konsequenten Widerstand gegen das NS-System nahmen sie in Kauf, selbst zu Verfolgten zu werden. In Konzentrationslagern trugen sie das lila Dreieck und bildeten in den Vorkriegsjahren in vielen Lagern einen beträchtlichen Teil der Insassen.

Trotz ihrer eigenen prekären Situation setzten sich viele Zeugen Jehovas über den herrschenden Antisemitismus hinweg und halfen bedrohten jüdischen Mitmenschen. Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, als sie zeigt, dass auch aus den Reihen einer selbst verfolgten Minderheit heraus Zivilcourage und Menschlichkeit gelebt wurde.

Jahrelange Recherche bringt bewegende Geschichten ans Licht

In jahrelanger Recherche hat Christoph Wilker dafür Belege gesammelt und stellt nun einige bewegende Einzelschicksale vor, wie das des jungen Berliners Dagobert Lewin, der 1942 bei einer Familie von Zeugen Jehovas Schutz fand. Auch die Geschichte von Inge Deutschkron, die von dem Zeugen Jehovas Franz Gumz und seiner Frau Emma versteckt wurde, gehört zu den dokumentierten Fällen. Sie war eine von vielen, die diesem Ehepaar ihr Überleben zu verdanken haben.

Das Buch, das 2022 in erster Auflage erschien und nun in einer erweiterten zweiten Auflage vorliegt, schließt eine wichtige Lücke in der Geschichtsschreibung. Motiviert durch die erste Auflage wandte sich eine interessierte Leserschaft an den Autor, um auf weitere Fälle des Beistandes für jüdische Mitmenschen durch Zeugen Jehovas aufmerksam zu machen. Diese zusätzlichen Geschichten fanden Eingang in die zweite Auflage.

Ein Experte für NS-Forschung

Christoph Wilker ist seit vielen Jahren in der NS-Forschung tätig und hat sich besonders auf die Verfolgung und den Widerstand der Zeugen Jehovas spezialisiert. 2017/18 bereitete er im Auftrag von Prof. Dr. Winfried Nerdinger in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum München eine Sonderausstellung zur Verfolgung der Zeugen Jehovas vor, die dort vom 26.9.2018 bis 06.01.2019 zu sehen war.

Wissenschaftliche Anerkennung

Das Buch erhält Unterstützung von renommierten Wissenschaftlern. Prof. Dr. Wolfgang Benz, Historiker und Antisemitismusforscher, schreibt in seinem Geleitwort: „In diesem Buch sind Berichte von Zeugen Jehovas zusammengetragen, die ― spät genug ― ein helles Licht auf einen weithin unbekannten Aspekt der Hilfe für Juden und deren Rettung werfen.“

Der jüdische Holocaust-Überlebender und Psychoanalytiker Bruno Bettelheim wird mit den Worten zitiert: „Die Zeugen Jehovas zeigten […] ungewöhnliche Würde und Größe.“ Diese Einschätzung unterstreicht die besondere Rolle, die diese Glaubensgemeinschaft während der NS-Zeit spielte.

Politische Wirkung und Anerkennung

Die Forschungsarbeit von Christoph Wilker zeigt bereits konkrete Wirkung in der politischen Landschaft. Prof. Dr. Detlef Garbe, Experte für NS-Geschichte und langjähriger Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, beschreibt das im Buch behandelte Thema als „bisher ohne Beachtung geblieben“. Bei einer Buchvorstellung in Hamburg würdigte er die Bedeutung des Werkes für den gesellschaftlichen Wandel: „Einen Beitrag zu dem signifikanten Meinungsumschwung leistete auch das heute vorzustellende Buch.“

Dieser Meinungsumschwung manifestierte sich konkret im Juni 2023, als der Deutsche Bundestag einstimmig für die Errichtung eines Mahnmals für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas stimmte – ein historischer Schritt zur Anerkennung ihrer Leiden und ihres Widerstands.

Mehr als nur Geschichte: Ein Zeichen der Menschlichkeit

Prof. Dr. Wolfgang Benz hebt in seiner Bewertung hervor, dass das Buch „nicht nur unbekannte Facetten des Widerstands gegen das NS-Regime“ zeigt, sondern auch „die Solidarität und Menschlichkeit der Nächstenliebe als gelebten Glaubenssatz einer diskriminierten und verfolgten und nach 1945 auch als Opfer des Nationalsozialismus missachteten Gemeinschaft“ dokumentiert.

Das Buch ist mit zahlreichen historischen Abbildungen und Dokumenten ausgestattet, die die Geschichten authentisch untermauern und die Zeit lebendig werden lassen.

Buchdetails

Titel: Die unbekannten Judenhelfer – Wie Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus jüdischen Mitmenschen beistanden
Autor: Christoph Wilker
Verlag: Volk Verlag München
Erscheinungsdatum: 15. Mai 2024 (2. erweiterte Auflage)
Umfang: 320 Seiten
ISBN: 978-3-86222-435-7
Preis: 21,90 Euro

Wo Sie das Buch bestellen können:

  • Direkt beim Verlag: Volk Verlag
  • Bei Amazon: Amazon.de
  • Im lokalen Buchhandel mit der ISBN: 978-3-86222-435-7

Fazit

„Die unbekannten Judenhelfer“ ist mehr als nur ein historisches Sachbuch. Es ist ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur und zeigt, dass Menschlichkeit und Zivilcourage auch in den dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte existierten. Christoph Wilker hat mit seiner akribischen Recherche nicht nur vergessene Geschichten ans Licht gebracht, sondern auch ein wichtiges Zeichen gegen das Vergessen gesetzt.

Für alle, die sich für die Geschichte des Nationalsozialismus interessieren und mehr über die vielschichtigen Aspekte von Widerstand und Hilfe erfahren möchten, ist dieses Buch eine wertvolle und bewegende Lektüre.

Weitere Beiträge