Biographie Adolphe Arnold – Kapitel 5 (1938-1941): Der Glaube im Kreuzfeuer

Emma wurde im Jahr 1938 als Zeugin Jehovas getauft. Im selben Jahr marschierten deutsche Truppen in das Sudetenland und Adolphe wurde in die französischen Streitkräfte eingezogen, um Telefongespräche abzuhören. Er kehrte von seinem Dienst mit einem schlechten Gewissen zurück und nahm sich vor, am Krieg nicht mehr teilzunehmen. Er wollte der nächsten Einberufung nicht mehr Folge leisten. Er ließ sich im folgenden Jahr taufen und war sich voll der schweren Verantwortung bewusst, die er für die kleine Gruppe von Zeugen in Mülhausen zu tragen hatte. Von Anfang an wurden Adolphe und Emma zu geistigen Säulen in der Gruppe, besonders angesichts des bevorstehenden Kriegs mit Deutschland.

Als im Jahre 1939 die französische Regierung alle ausgegrenzten Organisationen, einschließlich der Zeugen Jehovas, verboten, organisierten die beiden Adolphe die religiöse Untergrundtätigkeit. Im Schutz der Nacht suchten sie ihre Glaubensbrüder auf und sonntags morgens verbreiteten sie auf unauffällige Weise die biblische Botschaft. Das abseits gelegene Gartenhäuschen von Adolphe Koehl diente als hervorragender heimlicher Treffpunkt. Sie organisierten auch gewagte Verbindungen zu Zeugen auf der anderen Seite der Vogesen.

Der Friseur Adolphe Kohl und seine Frau Maria, welche die religiöse Aktivität in Mülhausen im Untergrund fortsetzten, in Begleitung von Marias Mutter und Jimmy, ihrem Hund.
Der Friseur Adolphe Kohl und seine Frau Maria, welche die religiöse Aktivität in Mülhausen im Untergrund fortsetzten, in Begleitung von Marias Mutter und Jimmy, ihrem Hund.

Der Zusammenhalt innerhalb der Familie wurde stetig gestärkt durch den gemeinsamen Glauben und das Bibellesen. Nachdem Adolphe das Rauchen aufgegeben hatte, klang auch sein Raucherhusten völlig ab. Emmas Schwester Eugenie und Simone wurden beide heimlich in der Badewanne der Familie getauft. Im Frühsommer des Jahres 1940 marschierten deutsche Soldaten durch die Straßen von Mülhausen und jagten den Elsässern Angst und Schrecken ein. Das Elsass sollte nun „heim ins Reich“, und der Bevölkerung wurden in totalitärer Rücksichtslosigkeit nationalsozialistische Gesetze auferlegt.

Marcel Sutter im Alter von ungefähr 22 Jahren
Marcel Sutter im Alter von ungefähr 22 Jahren

Die Arnolds setzten alles daran, in ihrem Heim eine Atmosphäre der Heiterkeit und der Ruhe zu bewahren. Simones Schularbeit nahm Adolphes ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, da er ihr helfen wollte, die Bedeutung moralischer und religiöser Werte gegenüber nationalsozialistischen Ideologien abzuwägen. Trotz der Gefahr, verraten und festgenommen zu werden, behielt Adolphe seine Untergrundtätigkeit bei. Ein junger Mann, der mit großer Begeisterung die Bibel studierte, kam regelmäßig zu den Arnolds und wurde Ende August 1941 getauft.

Diese kostbaren Zeiten der Gemeinschaft sollten ein jähes Ende finden. Am 4. September erschien die Gestapo im Betrieb Schaeffer mit einem Haftbefehl für Adolphe. Er wurde vor allen Arbeitskollegen wie ein gemeiner Verbrecher abgeführt und gezwungen, mit dem Fahrrad vor der berüchtigten „schwarzen Maria“, dem schwarzen Fahrzeug der Gestapo, her zu fahren, damit auch alle sehen sollten, was mit denen geschah, die es wagten, sich den Nazis zu widersetzen. Erst fuhr man zum Haus der Arnolds, gerade während Emma unterwegs war, um die tägliche Milchration abzuholen und Simone in der Schule war. Die Gestapobeamten stellten die Wohnung auf den Kopf und suchten nach Beweismaterial, wie Literatur, Namen oder Adressen. Adolphe hatte jedoch in aller Klugheit vorgesorgt und sämtliche verbotenen Schriften der Zeugen im Gartenhäuschen des Friseurs versteckt. Die Gestapobeamten mussten mit leeren Händen wieder abziehen und stießen Adolphe ins Polizeifahrzeug. Die Nachbarn schauten heimlich hinter den Gardinen zu, wie er für weitere Verhöre mitgenommen wurde.

Ein klein geratener Gestapomann saß hinter einem Schreibtisch und bot Adolphe die sofortige Freilassung an, wenn er sich freiwillig in den Dienst  der Deutschen Wehrmacht stellen würde. Als Adolphe dies verweigerte, nahm seine Stimme einen barschen Ton an. Er wollte Namen wissen. Adolphe sah ihn schweigend an. Der Beamte schrie ihn an und verlangte eine Antwort, worauf Adolphe erwiderte: “Die Antwort für Sie wird immer ‚Nein’ sein!” Ehe er sich versah, sprang der kleine Mann über seinen Schreibtisch und schlug ihn mit einem einzigen Fausthieb bewusstlos. In einer dunklen, feuchten Einzelzelle kam Adolphe wieder zu sich. In der Nachbarzelle hörte er das Weinen eines Mannes. Der kleine Gestapomann kam zu ihm herein und sagte: „Die Stimme, die Sie hören, stammt von dem Mann, der Sie verraten hat.“ Adolphe erkannte die Stimme des Friseurs. Für Adolphe war diese Offenbarung schwerer zu verkraften, als der brutale Schlag. Er wusste, dass Adolphe, der Friseur, in schlechter gesundheitlicher Verfassung war und nahm an, dass er deshalb zusammengebrochen sei und ihn verraten haben musste. Tagelang peinigte ihn die weinende Stimme seines Freundes, dessen schlechtes Gewissen ihn wohl quälte.

Das Gefängnistor von Mülhausen
Das Gefängnistor von Mülhausen

Die Wärter verweigerten Adolphe sein Recht auf eine Bibel. Die Gestapo hatte strikte Anweisung gegeben, dass Zeugen Jehovas unter keinen Umständen Bibeln bekommen sollten. Emma durfte saubere Kleidung bringen, aber weder Briefe noch Essen. Einmal versuchte sie erfolglos eine Bibel für Adolphe hineinzuschmuggeln. Der Wärter, der Emma kannte, fand eine Möglichkeit, sie außerhalb des Gefängnisses anzusprechen, um sie davor zu warnen, es jemals wieder zu versuchen. Er hatte Adolphe in eine andere Zelle verlegt und ihm die Bibel aus der Gefängnisbücherei gebracht. Auf diese Weise musste Adolphe sich auch nicht mehr das Gejammer aus der Nachbarzelle anhören.

Im Dezember wurde er von der Gestapo nach Schirmeck, ein Lager im Elsass, verlegt. Die Verhältnisse waren schlimmer als in dem Steingefängnis, aber wenigstens erreichte ihn hier ein Brief von Emma, in dem sie mit vorsichtig gewählten Formulierungen Grüße von Adolphe Koehl ausrichtete und von dessen Untergrundtätigkeit berichtete, sodass er nach vier Monaten Verzweiflung endlich die Gewissheit hatte, dass es sich bei der Stimme des Gequälten in der Nachbarzelle nur um einen üblen Gestapotrick gehandelt hatte.