Am 25. September 2024 wird in Schwerin ein Stolperstein zur Erinnerung an die Zeugin Jehovas Emma Tiesel verlegt. Damit erinnert die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns erstmals an ein im Nationalsozialismus verfolgtes Mitglied der Religionsgemeinschaft.
Die Bibelforscher waren in Schwerin bereits vor dem Ersten Weltkrieg tätig und ihre Gemeinde war mit etwa 120 Personen in den 1920er Jahren die größte im damaligen Mecklenburg. Nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten 1933 verlegten die Schweriner Zeugen Jehovas ihre religiösen Aktivitäten in die Illegalität. Emma Tiesel übernahm die Rolle des verantwortlichen „Gruppendieners“. In der Wohnung ihrer Familie fanden Zusammenkünfte statt und sie war auch die regionale Anlaufstelle für die im Ausland gedruckte und über die Grenze in Deutsche Reich geschmuggelte Literatur der Religionsgemeinschaft.
Nach einer Verhaftungsaktion kam es am 1. März 1937 zu einem Prozess des Schweriner Sondergerichts gegen zwölf Zeugen Jehovas. Emma Tiesel wurde zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Laut ihrer Strafakte galt sie „als besonders eifrige (Bibelforscherin) und hat durch die Abhaltung der Versammlung und die Annahme der Literatur gegen das Verbot verstoßen.“ Die Strafe verbüßte sie in den Gefängnissen Dreibergen-Bützow und Schönberg. In Dreibergen-Bützow hatte sie sich wegen Halsschmerzen beim Arzt gemeldet, worauf sie ein Glas mit einer Flüssigkeit zum Gurgeln erhielt. Die Flüssigkeit verätzte ihr den Mund und die Speiseröhre – ob dies Versehen oder Absicht war, ist ungeklärt. Aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes wurde sie am 30. Dezember 1937 aus der Haft entlassen. An den Folgen der Verätzung litt Emma Tiesel bis zu ihrem Lebensende.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges währte die Gottesdienstfreiheit in Ostdeutschland nur kurze Zeit. Ende August 1950 erfolgte in der DDR ein erneutes Verbot der Zeugen Jehovas, verbunden mit einer Verhaftungsaktion und einer Prozesswelle, in der viele Männer und Frauen zu Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Emma Tiesel erhielt im September 1950 eine private Warnung über ihre bevorstehende Verhaftung. Sie verließ sofort mit ihrer Tochter ihr Haus und floh nach West-Berlin. 30 Minuten später wurde die Wohnung von der Staatssicherheit besetzt, um die Bewohner bei der Rückkehr zu verhaften. Ihr Ehemann August Tiesel versteckte sich noch einige Tage, floh dann aber ebenfalls nach West-Berlin. Dort als Flüchtlinge angekommen, musste sich die Familie ein neues Leben aufbauen.
Am 25. September 2024 wird gegen 15.00 Uhr in Schwerin, in der Heinrich-Mann-Straße 6, im Beisein von Familienmitgliedern der Stolperstein für Emma Tiesel verlegt. Um 17.00 Uhr findet zudem am Südufer des Schweriner Pfaffenteiches eine zentrale Gedenkveranstaltung zu den diesjährigen Stolpersteinverlegungen in Schwerin statt.