
Am 24. Juni 2025 jährte sich zum 92. Mal das Verbot der Bibelforscher (Zeugen Jehovas) in Preußen. Zu dem Gedenktag luden die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Arnold-Liebster-Stiftung gemeinsam ein. Die Veranstaltung fand am Ort des geplanten Mahnmals für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas im Berliner Tiergarten statt, unweit des Goldfischteichs.
Die Gestapo führte 1936 eine umfassende Verhaftungswelle gegen führende Mitglieder der Glaubensgemeinschaft in Deutschland durch. Eine dieser gezielten Verhaftungsaktionen erfolgte am 22. August 1936 am Goldfischteich im Berliner Tiergarten.
Rückblick auf die Gedenkstunde zum Verbot der Bibelforscher
Die öffentliche Gedenkstunde fand wie angekündigt am 24. Juni 2025 um 17 Uhr im Berliner Tiergarten statt. Über 150 Gäste nahmen vor Ort teil, während rund 1.200 Menschen das Gedenken live über eine Zoom-Übertragung verfolgten.
Die vollständige Aufzeichnung der Gedenkstunde ist auf YouTube verfügbar:
- Link zur Aufzeichnung der Gedenkstunde auf dem YouTube-Kanal der Arnold-Liebster-Stiftung
- Link zur Aufzeichnung der Gedenkveranstaltung auf dem Youtube-Kanal „Culture & Art“
Den musikalischen Rahmen der Gedenkstunde gestalteten Fan Wang (Violine) und Annika Reuter (Viola).
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, begrüßte die Teilnehmer und würdigte in seiner Ansprache den außergewöhnlichen Mut der Bibelforscher im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Die Bundesregierung habe diesen Widerstand durch den Beschluss zur Errichtung eines Mahnmals anerkannt. Neumärker betonte, dass sich die Zeugen Jehovas weigerten, den Hitlergruß zu erweisen oder Kriegsdienst zu leisten. Besonders bemerkenswert sei gewesen, dass sie anderen Menschen halfen – ungeachtet deren Religion, Weltanschauung, Herkunft oder Hautfarbe. „Sie unterstützten Juden, Kommunisten, Schwarze, Sinti und Homosexuelle“, erläuterte Neumärker. „Der Mensch stand im Mittelpunkt ihres Handelns.“ Dieses Verhalten erinnere an Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der Widerstand der Zeugen Jehovas sei ein Akt der Freiheit gewesen – der Freiheit, eine eigene Entscheidung zu treffen.
Anschließend sprach Dr. Christl Wickert über die besondere Rolle der Frauen bei den Bibelforschern, die einen Anteil von ca. 45 Prozent der Glaubensgemeinschaft ausmachten. Sie schilderte das Schicksal von Hildegard Seliger, der einzigen Frau, die an der Goldfischteich-Aktion unmittelbar beteiligt war. Seliger wurde am 22. August 1936 verhaftet und durchlief die Konzentrationslager Lichtenburg und Ravensbrück, bevor sie am Todesmarsch nach Schwerin teilnehmen musste. „In der DDR wurde sie erneut verfolgt“, berichtete Wickert. „Sie und ihr Mann waren insgesamt 40 Jahre in Haft – sowohl im Deutschen Reich als auch in der DDR.“
Wickert erläuterte, dass Frauen anfangs von den Nationalsozialisten selten verhaftet wurden und wichtige Aufgaben übernahmen: Sie führten Bibelstunden durch, versteckten Literatur in Kinderwagen, tauften und ersetzten so verhaftete Männer. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre verhaftete die Gestapo auch die Zeuginnen Jehovas. In den Konzentrationslagern verweigerten sie Arbeiten zur Kriegsunterstützung, hielten heimlich Andachten ab und wurden von anderen Häftlingen wegen ihrer Mitmenschlichkeit geschätzt.
Besonders im größten Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück waren viele Bibelforscherinnen inhaftiert. Zu Beginn wurden sie besonders schwer misshandelt, später erkannten die Nazis jedoch ihre Zuverlässigkeit und setzten sie für Arbeitseinsätze außerhalb des Lagers ein, da sie nicht flüchteten.
Als weiteres Beispiel nannte Wickert Käthe Neumann, „Mischling 1. Grades“, die 1943 nach Ravensbrück deportiert wurde. Zeuginnen Jehovas sorgten dafür, dass Neumann aufgrund ihrer Erkrankung an Typhus keine Schwerstarbeit mehr leisten musste. Diese Erfahrung und der Zusammenhalt unter den Zeuginnen bewegte sie so tief, dass sie sich im Sommer 1945 der Glaubensgemeinschaft anschloss. Auch sie und ihr Mann wurden später in der DDR inhaftiert.
Wickert schloss mit einem Verweis auf das Grundgesetz, das auf den Erfahrungen der NS-Zeit basiert. Sie zitierte Artikel 4: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“ sowie „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Diese Grundrechte seien aufgrund aktueller Ereignisse wichtiger denn je, da die Gefahr bestehe, dass die demokratische Verfassung indirekt ausgehöhlt werde. Wickert betonte zum Abschluss, dass die Verteidigung der Verfassung eine Aufgabe aller Bürger sei.

Erinnerung an die am Goldfischteich verhafteten Bibelforscher

Den bewegenden Abschluss bildete die Lesung von Erinnerungssplittern durch vier Berliner Studierende. Sie trugen 13 Kurzbiografien der Zeugen Jehovas vor, die sich regelmäßig am Goldfischteich getroffen hatten und das Werk der Zeugen Jehovas im Deutschen Reich im Untergrund leiteten:
Heinrich Dietschi, Erich Frost, Paul Großmann, Georg Klohe, Otto Kours, Albert Kuczewski, Georg Rabe, Wilhelm Ruhnau, Hildegard Seliger, Ernst Seliger, Ernst Varduhn, Fritz Winkler und Emil Zellmann.
Diese Namen stehen stellvertretend für die vielen Zeugen Jehovas, die im Rahmen der Verhaftungswelle von 1936 in ganz Deutschland inhaftiert wurden, weil sie ihrer religiösen Überzeugung treu blieben. Mindestens 17 der dabei Verhafteten starben an den Folgen von Folter.
Mehr über die Verfolgung der Bibelforscher durch die Nazis erfahren Sie im hr2-Podcast „Camino“ mit dem Titel „Geheimtreffen am Goldfischteich“, der die bewegende Geschichte der verfolgten Zeugen Jehovas erzählt: Link zum Podcast „Geheimtreffen am Goldfischteich“.
Ausblick: Einweihung des Mahnmals 2026
Interessierte können sich bereits den 24. Juni 2026 vormerken: An diesem Tag soll das Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas am Goldfischteich eingeweiht werden – genau 93 Jahre nach dem Verbot der Glaubensgemeinschaft.
Hintergrund
Die christliche Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die sich auch Ernste Bibelforscher nannte, wurde seit 1933 in Deutschland und ab 1938 auch im nationalsozialistisch beherrschten Europa systematisch verfolgt.
Fast 14.000 Zeugen Jehovas – Frauen und Männer – wurden inhaftiert, darunter 4.200 in Konzentrationslagern, wo sie mit einem »lila Winkel« stigmatisiert wurden. Mindestens 1.750 Zeugen Jehovas verloren ihr Leben. Unter ihnen ist die größte Gruppe von Kriegsdienstverweigerern im Nationalsozialismus. Ihr Schicksal trug zur Verankerung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz bei. Auch im Kommunismus und in vielen autoritären Staaten wurden Zeugen Jehovas im 20. Jahrhundert verfolgt, wobei auch NS-Opfer erneut verhaftet und drangsaliert wurden.
Am 22. Juni 2023 hat der Deutsche Bundestag einstimmig ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas unter dem Dach der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas beschlossen. Weitere Informationen: Bundestagsbeschluss über die Errichtung eines Mahnmals für Zeugen Jehovas