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Kurzbiographie Simone Arnold Liebster

“Heim ins Reich” hieß es im Jahre 1940 im Elsaß. Dies bedeutete, daß alle national-sozialistischen Gesetze auch für das Elsaß angewandt wurden. Ein Jahr später, im September 1941 – ich war damals 11 Jahre alt – klingelte es an der Tür. Mutti und ich erwarteten Vater von der Arbeit zurück. Als wir öffneten, standen Gestapobeamte vor der Tür, die meine Mutter dann vier Stunden lang verhörten. Beim Weggehen rief einer von ihnen: “Sie werden Ihren Mann nie wiedersehen. Ihnen und ihrer Tochter wird es genauso ergehe wie ihm.”

Vater war an jenem Morgen – es war der 4. September 41 – festgenommen worden. Das Monatsgehalt, das er in der Tasche hatte, wurde beschlagnahmt, das Bankkonto aufgelöst, und meiner Mutter wurde die Arbeitserlaubnis verweigert. Das Motto der SS lautete: “Kein Lebensunterhalt für dieses Ungeziefer.”

In dieser Zeit nahm  der Druck auf dem Gymnasium weiter zu. Wenn der Lehrer den Klassenraum betrat, mußten alle 58 Schüler aufstehen und mit ausgestrecktem Arm: ´Heil Hitler!´ sagen. Kam der Priester, so sagte er: ´Heil Hitler! Gesegnet ist der, der im Namen des Herrn kommt.´ Die Schüler antworteten dann mit: Heil Hitler!´ Ich weigerte mich, den Deutschen Gruß zu sagen. Es gab eine Verwarnung, daß ich die Schule verlassen müsse, wenn innerhalb einer Woche keine Änderung zu sehen sei. Schließlich kam der Tag, an dem ich meine Entscheidung vor der Klasse bekanntgeben mußte. Der Direktor gab mir fünf Minuten Zeit, entweder den Deutschen Gruß zu erwidern oder die Schule zu verlassen. Noch heute weiß ich, wie mir zumute war: Der Kopf war schwer, die Beine wollten ihren Dienst verweigern, mein Herz raste, doch ich blieb standhaft und wurde dann zurück auf die Volksschule geschickt.  Ich durfte aber niemand sagen, warum ich das Gymnasium verlassen mußte. Man wollte den Eindruck erwecken, ich sei eine Unruhestifterin und Diebin und deshalb des Gymnasiums verwiesen worden.

Simone Arnold Liebster Porträt
Simone Arnold Liebster

Auch in der Volkschule war ich starkem physischem und psychischem Druck ausgesetzt. Einmal wurde ich ohnmächtig geschlagen, man untersagte sogar unserem Hausarzt, mir zu helfen. Ich wurde vom Gestapo-Psychiater über eine Stunde verhört, worauf man mich dann vor das Jugendgericht brachte. Dort stellte man mir eine Einweisung in eine Erziehungsanstalt mit anschließender Überführung ins Konzentrationslager in Aussicht, wenn ich an meiner Überzeugung festhalten würde. “Droht charakterlich zu verwahrlosen, ist eine Gefahr für ihre Altersgenossen”, so lautete das Urteil des Gerichts.

So wurde ich dann als Zwölfjährige in die “Wessenbergische Erziehungsanstalt Konstanz” eingewiesen. Dort begann ein neues Leben. Sofort nach der Ankunft nahm man mir die Schuhe weg, da alle 35 Kinder von Ostern bis zum Herbst barfuß laufen mußten. Sechs Kinder waren älter als 12 Jahre und mußten sämtliche Wäsche waschen, flicken, nähen sowie die gesamte Gartenarbeit verrichten. Der Tag begann morgens um 5.30 Uhr als erstes mit Hausputz. Das darauf folgende Morgenessen war ein Teller Suppe um acht Uhr. Morgens war Schulunterricht in der Anstalt, nachmittags wurde genäht und schwere Gartenarbeit verrichtet. Bei allen Arbeiten galt ein absolutes Sprechverbot. Zweimal im Jahr konnten wir baden, einmal im Jahr unser Haar waschen. Zeit zum Spielen gab es nicht. Strafen gab es in Form von Schlägen und Nahrungsentzug

Wurde ein Zögling beim Sprechen erwischt, dann wurde ihm mit einem elastischen Stock mit aller Kraft auf die Finger geschlagen. Danach mußte das Kind beim Abendessen aufstehen und laut sagen: “Dankeschön, ich darf nicht essen, denn ich bin gestraft.” Das konnte mehrmals hintereinander bis zu siebenmal  gehen – 7 mal Schläge / 7 mal ohne Nachtessen. Als Alternative konnte man auch für ein bis drei Tage eingesperrt werden. Um bei den Erziehern gut angesehen zu sein, haben sich die Zöglinge mitunter gegenseitig verraten und mit Schadenfreude zugesehen, wie die Bestrafung vor sich ging.

Einige Monate später erfuhr ich, daß meine Mutter ins KZ gekommen war. Erst nach Kriegsende haben wir uns wiedergefunden. Als meine Mutter mich im Erziehungsheim abholte, habe ich sie nicht erkannt; sie war vom Hunger ausgezehrt, krank, ihr Gesicht durch einen Luftangriff verletzt, ihre Stimme kaum hörbar. Erst als sie beim Richter die gesetzliche Erlaubnis erhielt, mich mitzunehmen, dämmerte es mir, daß sie meine Mutter war.

Wir fanden unsere Wohnung wieder und begannen sie einzurichten. Im Mai 45 kam auch Vater zurück, gekennzeichnet durch KZ-Aufenthalte in Dachau, Mauthausen und Ebensee. Aber auch er hatte überlebt und war wieder zuhause.

Simone und Max Liebster als Zeitzeugen auf der Veranstaltung Memoria de un testimonio
Simone und Max Liebster als Zeitzeugen auf der Veranstaltung Memoria de un testimonio